Die Konsumentenpreise: nach oben geschnellt. Die Krankenkassenprämien: steigen im kommenden Jahr schweizweit um durchschnittlich 6.6 Prozent. Auch die Nebenkostenabrechnungen dürften höher ausfallen wie gewohnt; immerhin heizen 60 Prozent der Schweizer Haushalte mit Öl und Gas.
Ökonomische Entwicklungen können nie mit nur einer Ursache erklärt werden. Und doch haben wohl wenige Ereignisse die Schweizer Wirtschaft derart torpediert, wie die Folgen des russischen Einmarschs in die Ukraine.
Riesiger Spendenbetrag für die Ukraine
Vor diesem Hintergrund überraschen die Resultate des diesjährigen Spendenreports Schweiz vielleicht. Daraus geht nämlich hervor: In der Schweiz könnte sich ein neuer Spendenrekord anbahnen. So haben die Hilfsorganisationen in der Schweiz während der ersten Monate nach dem russischen Angriffskrieg 285 Millionen Franken Spenden für die Ukraine erhalten.
Herausgeberinnen des Berichts sind Swissfundraising und die Stiftung Zewo, welche Schweizer Non-Profit-Organisationen nach bestandener Prüfung zertifiziert. Die Zahlen beziehen sich auf die ersten Monate dieses Jahres bis Ende Juni – eine Gesamterhebung für das ganze Jahr soll noch durchgeführt werden. Doch bereits jetzt deute viel darauf hin, so der Bericht, dass «die Ukraine-Spenden ein noch nie dagewesenes Spendenvolumen erreichen».
Zeigen, dass man ein guter Mensch ist
Eine angespannte Wirtschaft – und doch wurde dieses Jahr viel gespendet. Wie geht das zusammen? Dorothea Schaffner von der Fachhochschule Nordwestschweiz ist Professorin für Wirtschaftspsychologie. Sie vermutet: «Der Krieg in der Ukraine stellt eine besondere Situation dar.» So habe man die russische Invasion als ungerecht empfunden und es entstand rasch ein Bewusstsein für ein Problem. «Der Krieg hat uns wachgerüttelt», sagt Schaffner.
Der Krieg in der Ukraine stellt eine besondere Situation dar.
Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Lage müsse man zudem die zeitliche Abfolge beachten. In den Wochen nach Ausbruch des Kriegs hielten sich die Folgen für die Schweiz in Grenzen, doch genau für diese Zeitspanne wurden die Zahlen erhoben. Und auch heute geht es der Schweizer Bevölkerung vergleichsweise gut. Zum Vergleich: Die Inflation lag in Deutschland im vergangenen Monat bei zehn Prozent.
Gleichzeitig war die Solidarität mit der Ukraine sehr gross, weshalb wiederum die sogenannte soziale Erwünschtheit – also die Tendenz, das zu tun, was von der Gesellschaft erwartet wird – eine Rolle gespielt hat. «Indem man spendet, will man zeigen, dass man ein guter Mensch ist», erklärt Schaffner. Hier ginge es auch um Prestige, um soziale Anerkennung. Oder frei nach dem Bonmot: Tue Gutes und sprich darüber.
Gibt es im kommenden Jahr einen Bruch?
Eine wohlhabende Schweiz, spät einsetzende wirtschaftliche Folgen, eine grosse Solidarität mit der Ukraine und eine starke Betroffenheit: So könnte man also die hohen Spenden in den ersten Monaten dieses Jahres erklären.
Ob sich das Spendenverhalten im kommenden Jahr weiter in hohen Sphären bewegt, bleibt abzuwarten. Wenn auch eine Rezession für die Schweiz ausbleiben dürfte, waren die wirtschaftlichen Aussichten schon rosiger. Zudem lässt der Bericht offen, ob Organisationen, welche nicht mit dem Krieg in der Ukraine in Verbindung gebracht werden, ebenfalls höhere Spendenerträge erhalten haben. So sagt Schaffner auch: «Ich vernehme aus der Branche, dass für das nächste Jahr tiefere Spendeneinnahmen erwartet werden.»