In einem chicen Co-Working-Space in der Zürcher Innenstadt tüfteln Software-Entwickler und IT-Spezialisten an neuen Produkten – an Online-Plattformen für Mitarbeiterbefragungen oder für die Krebsforschung. 2017 wurde «Capptoo» gegründet. Heute zählt das Unternehmen aus Zürich 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Rund ein Drittel der Belegschaft arbeitete bis vor Kurzem noch in der Ukraine. Doch das hat sich mit dem Einmarsch der russischen Truppen am 24. Februar schlagartig geändert.
«Wie viele können wir aufnehmen?»
Dass in der Ukraine Krieg ausbrechen könnte, habe er bereits früh geahnt, sagt Firmengründer Christian Fillinger. Nach einer schlaflosen Nacht Mitte Februar wurde er aktiv. Er habe alle seine Mitarbeitenden in der Schweiz zusammengetrommelt und gefragt: «Wie viele Betten haben wir? Wie viele können wir aufnehmen?»
Kurze Zeit später habe er dann eine E-Mail an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Ukraine versandt: «Kommt in die Schweiz. Wir übernehmen die Kosten. Hunde und Katzen könnt ihr auch mitnehmen.»
Familien mit Kindern holte er in die Schweiz. «Wenn der Krieg länger dauert, sollen die Kinder eine gute Ausbildung haben», so der Firmengründer. Es sei eine intensive Zeit gewesen: «Ich habe Wohnungen gesucht, eingerichtet und bin mit den ukrainischen Kolleginnen stundenlang vor dem Asylzentrum angestanden.» Gleichzeitig musste das Geschäft irgendwie weiterlaufen. «Wir hatten volle Auftragsbücher», sagt Fillinger.
Aus den Ferien in Zypern direkt nach Winterthur
Zwei Familien sind in die Schweiz gekommen. Eine war zur Zeit des Kriegsausbruchs gerade in Zypern in den Ferien. Statt nach Hause sind Iryna Chubur, ihr Mann und ihre Tochter mit ihrem Feriengepäck nach Zürich geflogen. Ihr Chef, Christian Fillinger, hat für die Familie in Winterthur eine Wohnung gefunden.
Iryna Chubur klingt aufgestellt. Doch schnell wird klar, dass die ersten Wochen in der Schweiz für sie und ihre Familie schwierig waren. «Die Sprache, die neue Umgebung und die ständige Sorge um Angehörige in der Ukraine. Das hat viel Zeit und Energie gekostet.»
Doch nicht alle Ukrainerinnen und Ukrainer von «Capptoo» konnten das Land verlassen. So etwa Roman Kovbasyuk. Der leitende Designer der Firma musste in der Ukraine bleiben. Der Kriegsausbruch habe ihm psychisch so zugesetzt, dass er nicht mehr an seine Arbeit denken konnte. «Ich war kaum mehr produktiv», erzählt Kovbasyuk.
Dennoch sei er dankbar, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Ukrainerinnen und Ukrainern noch einen Job habe und seine Frau und Kinder in Sicherheit seien. Wie die Familie von Chubur lebt auch Kovbasyuk in Winterthur.
Seit drei Monaten hat er seine Frau und seine Kinder nicht mehr gesehen. Bei der Frage, wie das für ihn sei, macht er eine lange Pause. Dann verweist er auf seinen 94-jährigen Grossvater, der während des Zweiten Weltkrieges auch lange von seiner Familie getrennt war. Damals habe es noch keine Videotelefonie gegeben. «Dank der modernen Technologie können wir heute in Kontakt bleiben. Ich höre die Stimmen und sehe die Gesichter meiner Familie.»
Der Optimismus von Roman Kovbasyuk ist beeindruckend. Dennoch dürfe man nicht abstumpfen, gibt sein Chef Christian Fillinger zu bedenken. «Wir vergessen manchmal fast etwas, dass unsere Kollegen im Kriegsgebiet leben. Das ist schade.» Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht einer gewissen Kriegs-Müdigkeit hergeben.