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Wahlbeteiligung Schweiz Darum gehen junge Leute weniger an die Urne

Junge Menschen gehen weniger an die Urne. Woran liegt das? Ein Politologe gibt Antworten.

In knapp einer Woche finden die nationalen Wahlen statt. Statistiken der Wahlen vor vier Jahren zeigten, dass die Stimmbeteiligung insbesondere bei jungen Menschen (18-24-Jährigen und 25-34-Jährigen) tief war. Sie seien aber nicht inaktiv in der Politik, sagt der Politologe Lucas Leemann. «Ja, formale Teilnahme ist deutlich geringer bei jungen Menschen. Jedoch sind junge Menschen auf eine andere Art und Weise politisch tätig.» Beispielsweise würden Boykotte oder Demonstrationen häufig von jungen Menschen mitgetragen – Stichwort: Klimabewegung. Dazu sei oft ein grösseres Engagement gefordert, als bei Abstimmungen einen Zettel auszufüllen und diesen fristgerecht abzuschicken.

Lucas Leemann

Politologe

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Lucas Leemann studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der Universität Bern und der University of North Carolina Chapel Hill. Im Jahr 2018 wechselte er an die Universität Zürich und erhielt dort 2021 eine ausserordentliche Professur für Vergleichende Politikwissenschaft und Empirische Demokratieforschung.

Leemann zufolge gibt es verschiedene Gründe für die tiefe formale Beteiligung . Einerseits hätten Menschen nicht nur bei Wahlen die Möglichkeit auf Partizipation, sondern auch bei Sachabstimmungen unter dem Jahr. Andererseits führten Wahlen in der Schweiz auch praktisch nie zu einer wahrnehmbaren Veränderung in der Regierung. Zudem sei eine selektive Teilnahme bei gewissen Themengebieten denkbar. Die Altersgruppe der jüngeren Menschen sei aber sehr heterogen.

Der Politologe nennt drei verschiedene Gründe für die geringe Stimmbeteiligung junger Menschen.

  • Erstens: Eine allgemeine tiefe Stimmbeteiligung bei allen Wahlberechtigten habe meist eine ungleiche Stimmverteilung in den Altersgruppen als Konsequenz. Dies führt dazu, dass mehr Stimmen von älteren Menschen abgegeben werden als von jüngeren.
  • Zweitens: «Politische Partizipation ist Gewohnheit», sagt Leemann. Bei jungen Menschen könne diese Gewohnheit noch gar nicht so ausgeprägt sein wie bei älteren Personen.
  • Drittens: Junge Menschen befänden sich meist in einer aufregenden Lebensphase. Es bewege sie extrem viel und es gebe sehr viele Veränderungen. All dies wirke nicht unterstützend für eine regelmässige Teilnahme an politischen Entscheidungen.
Wahlunterlagen auf einem Tisch.
Legende: Die formale Teilnahme an Politik ist bei den jüngeren Menschen geringer als bei älteren. Keystone/Martial Trezzini

Politik kann komplex sein. Gerade jungen Menschen fehle bei der Meinungsbildung eine Orientierung. «Menschen orientieren sich bei politischen Abstimmungen an einem Leuchtturm. Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger immer lange Gedanken machen zum Inhalt.» Für viele Themen brauche es Einschätzungen von Fachexpertinnen und -experten oder eben auch Parteien.

War die Stimmbeteiligung früher grösser als heute?

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Früher existierten in der Gesellschaft weit über die Parteien hinausgedacht viele soziale Strukturen wie Organisationen oder Parteimilieus. Diese halfen den Menschen, Inhalte zu strukturieren und zu interpretieren. Über die letzten 50 Jahre seien sie jedoch ein Stück weit verschwunden. Genaue Daten zu der historischen Entwicklung der Stimmbeteiligung bei jungen Leuten gebe es aber nicht, sagt Politologe Lucas Leemann von der Universität Zürich. «Vor 50 Jahren gab es noch keine Registerdaten zur Stimmbeteiligung. Aber was wir wissen, ist: Wenn die generelle Stimmbeteiligung abnimmt, dann vergrössern sich im Normalfall die Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Altersgruppen bei einer Stimmabgabe.»

Ein Gefühl der Ohnmacht in Krisenzeiten

Angesichts der aktuellen Geschehnisse, wie beispielsweise des Ukraine-Krieges oder des Nahostkonflikts, scheint eine Informationsflut auf uns einzuprasseln. Diese versetzt Menschen teilweise in eine Ohnmacht und die eigene Teilhabe werde als nichtig betrachtet. Auch rückten durch diese Ereignisse Diskussionen zu den Wahlen in den Hintergrund. Eine inhaltliche Auseinandersetzung zwischen solchen Krisen und den Wahlen sollte deswegen mehr erarbeitet werden, um Zusammenhänge aufzuzeigen.

Das sind die Statements der Jungparteien

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Die verschiedenen Jungparteien in der Schweiz tun einiges, um ihre junge Wählerschaft abzuholen und zu mobilisieren. Alle drei Parteien setzen bei der Mobilisierung auch auf Social Media, jedoch verfolgen sie unterschiedliche Strategien.

Die junge Mitte versuche laut Parteipräsident Marc Rüdisüli, ihre Wählerschaft über Social Media zu mobilisieren, da werde auch gerne mal mit der Mitte Schweiz zusammengearbeitet. Zudem würden die Kandidierenden ihr eigenes Umfeld mobilisieren. Dass die Kandidierenden in vielen unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern unterwegs sind, sieht die Jungpartei als Vorteil. Ob diese Mittel funktionieren, sei schwer zu sagen, sag Rüdisüli. Man spüre aber eine gewisse Aufbruchsstimmung.

Die junge SVP hofft, mit Themen, welche ihrer Meinung nach junge Menschen direkt betreffen, zu mobilisieren. Zudem setzt die Jungpartei auf Social Media, denn: «Auf diesen Kanälen sind junge Menschen aktiv.» Für die Kampagnen auf sozialen Netzwerken werde nun massiv mehr ausgegeben als noch vor vier Jahren, so Trachsel. Und er ist optimistisch, dass ihre Mittel Wirkung zeigen.

Die Juso setzt wie die anderen beiden Jungparteien auch auf Social Media. Sie würden seit diesem Jahr immer mehr auf Videos statt auf Fotos mit Text setzen. Kandidierende würden auch dazu aufgefordert, ihr persönliches Umfeld mit Videos zu mobilisieren. Weiter habe die Juso in vielen Kantonen über die Gemeinden Neuwählerinnen und -wähler angeschrieben. Einerseits, um den Anteil der jungen Wählenden zu erhöhen, andererseits mit der Hoffnung, mehr Stimmen für die eigene Partei zu gewinnen. Inwiefern die Kampagne auf Social Media greift, sei schwer zu beurteilen. Anhand der Views und Kommentare könne man aber abschätzen, was funktioniere.

Jungen Menschen sollte die Politik auf eine motivationsstiftende Art und Weise nähergebracht werden. Erklärvideos könnten hierbei sicher helfen, um komplexe Inhalte zugänglicher zu machen. «Das Problem ist aber, dass bei vielen Menschen einfach die Motivation fehlt. Man kann noch so viele Informationen geben, die Leute gehen doch nicht wählen. Da helfen auch Erklärvideos nicht weiter.» Wichtig sei, dass junge Menschen Politik mit einer motivierenden Neugier in Verbindung bringen und sie diese nicht als etwas Abschreckendes wahrnehmen würden.

Regionaljournal Ostschweiz, 11.10.2023, 6:30 Uhr

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