Mit dem neuen Wahljahr bringen sich die grossen Parteien in Stellung. Sie bestimmen, mit welchen Themen sie im Wahlkampf um die Gunst der Wählerinnen und Wähler buhlen wollen. Der Überblick zeigt, welche Ziele sich die Parteien gesteckt haben und wie realistisch diese sind. In welche Richtung es dabei gehen kann, zeigt auch der SRG-Wahlbarometer vom vergangenen Oktober :
SVP
Bei den letzten Wahlen 2019 war die SVP noch die grosse Verliererin. Beim Wähleranteil hat sie 3.5 Prozentpunkte eingebüsst – blieb aber weiterhin stärkste Kraft. Den Verlust möchte die SVP bei den nächsten Wahlen wieder aufholen. «Die SVP will im Vergleich zu 2019 Hunderttausend zusätzliche Wähler an die Urne bringen», sagt Partei-Vize Marcel Dettling.
Im Wahlkampf setzt die Volkspartei vor allem auf die Zuwanderung. «Wir haben so viele hier, die nichts zu suchen haben in der Schweiz. Da wurde ein Schlendrian betrieben in den letzten Jahren», sagt der Schwyzer SVP-Nationalrat Dettling. Daneben will seine Partei auch den Klimaschutz zum Thema machen. So hat die SVP kürzlich angekündigt, dass das Referendum gegen das Klimaschutzgesetz zustande gekommen sei.
Gemäss dem SRG-Wahlbarometer von Oktober 2022 dürfte der Wähleranteil entgegen den gesteckten Zielen nur leicht steigen. Aus Sicht von Politgeograf Michael Hermann muss die SVP für eine erfolgreiche Wahl genug Menschen an die Urne bringen. «Die Frage ist: Gibt es bis zum Herbst ein Thema, das die Leute mobilisiert?»
Bei den Wahlen 2015 war die Migration mit der damaligen Flüchtlingswelle ein brennendes Thema. «Nun leben wir in einer anderen Zeit. Mit dem Ukraine-Krieg hat die Zuwanderung einen anderen Charakter», sagt Hermann. Wenn das Thema mobilisiert, sei ein Wahlerfolg möglich.
SP
Vor vier Jahren hat die SP bei den Wahlen verloren. Ihr Wähleranteil sank um 2 Prozentpunkte auf 16.8 Prozent. Damit blieb die Partei aber zweitstärkste Kraft. «Wir wollen Wähleranteile gewinnen und mehr Menschen überzeugen», sagt Co-Präsidentin Mattea Meyer. Die acht Sitze im Ständerat sollen verteidigt werden.
Ein Schwerpunkt in diesem Wahljahr ist für die SP die Kaufkraft. «So viele Menschen haben aktuell mit steigenden Krankenkassenprämien und steigenden Mieten zu kämpfen», betont Meyer. Hier will die Partei entlasten, etwa mit einer Initiative zu den Krankenkassenprämien. Zwei weitere Schwerpunktthemen sind laut dem Co-Präsidium ein besserer Klimaschutz und eine bessere Gleichstellung. Diesbezüglich arbeitet die SP auch Volksinitiativen aus.
Mit diesen Themen wäre die Partei eigentlich nahe bei der Bevölkerung, findet Politgeograf Hermann. «Trotzdem dürfte sie es nicht leicht haben bei den Wahlen.» Er attestiert der SP ein Imageproblem in der breiten Bevölkerung. «Die SP wirkt auf viele eher radikal und zu ideologisch.»
Deshalb entscheiden sich viele potenzielle Wählerinnen und Wähler dennoch nicht für die SP, glaubt Hermann. «Für einen Erfolg muss die Partei an ihrem Auftritt und Stil schrauben, um sich den Leuten anzunähern.»
FDP
Auch die FDP gehörte vor vier Jahren zu den Verliererinnen. Der Wähleranteil schrumpfte um 1.3 Prozentpunkte auf 15.1 Prozent. Nun ist die Partei gut ins Rennen gestartet. Laut SRG-Wahlbarometer gewinnt sie 1 Prozentpunkt.
Bei den Wahlkampfthemen setzt die FDP auf Klassiker: Wirtschaftspolitik, Altersvorsorge und Sicherheitspolitik. Letzteres umfasst laut Parteipräsident Thierry Burkart auch die Versorgungssicherheit und damit die Energiepolitik.
«Die FDP möchte bei den Wahlen erstens zulegen», erklärt Burkart, «und zweitens möchten wir die SP als zweitstärkste Partei überholen.» Tatsächlich zeigen die Wahlumfragen, dass die FDP der SP gefährlich nahekommen könnte.
«Die FDP hat gar nicht so schlechte Voraussetzungen, sofern Wirtschaftsthemen wichtiger werden», sagt Politgeograf Hermann. Nach den Verlusten von 2019 habe die Partei unter dem neuen Präsidenten eine klarere Ausrichtung erhalten. «Ich gehe davon aus, dass sich der Wähleranteil der FDP erholt. Grosse Gewinne sind nicht realistisch.»
Grüne
2019 war eine «Klimawahl». Davon profitierte die Partei der Grünen. Sie steigerte ihren Wähleranteil von 7.1 auf 13.2 Prozent und holte so 17 neue Sitze im Nationalrat.
Die Ausgangslage ist dieses Jahr anders: Zwar bewegt der Klimawandel noch immer, doch das Thema dominiert nicht neben Ukraine-Krieg, Energieversorgung und Inflation. Trotzdem bleibt die Klimapolitik wichtig für die Grünen. Für die Wahlen im Oktober hat Parteipräsident Balthasar Glättli ein klares Ziel: «Wir Grünen wollen drittstärkste Partei in der Schweiz werden.»
Dass die Grünen die Mitte und die FDP überholen, hält Politgeograf Hermann für unwahrscheinlich, denn die Dynamik sei heute eine andere als 2019. «Zwar wird der Klimawandel als Herausforderung und Problem gesehen, aber in der Stimmbevölkerung hat es eine gewisse Gewöhnung und Ernüchterung gegeben», sagt er. Die Klimapolitik werde zudem nicht mehr allein nur noch den Grünen zugerechnet. «Die Partei kann froh sein, wenn sie wieder gleich gut abschneidet wie bei den letzten Wahlen.»
Mitte
Die Mitte erwartet eigentlich die ersten Wahlen auf nationaler Ebene. Denn 2021 ging sie aus dem Zusammenschluss von CVP und BDP hervor. Beide Fusionsparteien erreichten 2019 Wähleranteile von 11.4 respektive 2.4 Prozent. Mit der Fusion verschwand das «C» aus dem Namen und damit auch der augenscheinlich christliche Anstrich der Partei.
Parteipräsident Gerhard Pfister hofft, dass der neue Name den Zugang zur Partei in den grossen Kantonen im Mittelland erleichtert. Gleichzeitig müsse es gelingen, in den Stammlanden der CVP nicht zu verlieren, sagte er am Dreikönigsapéro der Mitte in Bern.
Im Wahlkampf will die Mitte voll auf den Mittelstand setzen. Wichtige Themen im Wahlkampf sind die Krankenkassenprämien, die Heiratsstrafe und die Kaufkraft des Mittelstandes und der Familie. Dazu hat die Partei auch Initiativen lanciert, um diese Themen zu bewirtschaften. Die Mitte hofft, dass sie von der jetzigen Krisenzeit profitieren kann.
«Wir werden dieses Jahr neue Wählerinnen und Wähler zulegen», so Mitte-Präsident Pfister. Aus Sicht von Politgeograf Hermann könnte das gelingen, «aber es besteht das Risiko, dass sie in den ehemaligen CVP-Stammlanden verlieren.» Der neue Parteiname bedeute dagegen mehr Potenzial in urbaneren Gebieten und Dörfern im Mittelland.
GLP
Wie die Grünen profitierten die Grünliberalen vor vier Jahren von der «Klimawahl». Ihre Sitzzahl im Parlament konnten sie so mehr als verdoppeln. Der Wähleranteil stieg von 4.6 auf 7.8 Prozent.
Natürlich ist bei der GLP die Bekämpfung des Klimawandels ebenfalls ein Kernthema. Doch bei der Umsetzung will sich die Partei von den Grünen abgrenzen. «Der Unterschied ist, dass wir das gerne mit der Wirtschaft, mit Technologie, mit Innovation machen wollen», sagt Parteipräsident Jürg Grossen. Verbote will er den Menschen keine machen.
«Wir wollen die 10-Prozent-Hürde knacken. Und wir wollen auch in den Ständerat einziehen», erklärt Grossen das Ziel für den Herbst. Dass die GLP die Hürde schafft, glaubt Politgeograf Hermann nicht, aber Zugewinne traut er ihr doch zu. «Die Partei hat es bis jetzt nicht geschafft, in der Romandie richtig Fuss zu fassen», erklärt er die Herausforderung.
Auch der Einzug in den Ständerat dürfte schwierig sein, wie Hermann sagt. Pro Kanton gäbe es maximal zwei Sitze, und die machen häufig die Polparteien unter sich aus. Die GLP als Partei zwischen den Blöcken habe dementsprechend wenig Chancen.