Zum Inhalt springen

Amtszeit im Rück- und Ausblick Mit Glättli tritt ein zweifelnder Intellektueller ab

Nach weniger als vier Jahren an der Spitze der Grünen stellt sich Balthasar Glättli nicht mehr zur parteiinternen Wiederwahl als Parteipräsident. Antworten auf die drängendsten Fragen.

Wie hat sich Glättli als Präsident der Grünen gemacht? Glättli hat die Grünen bei den Eidgenössischen Wahlen 2019 als Co-Wahlkampfleiter zu einem historischen Resultat geführt. Seine Partei konnte die Sitzzahl im Parlament fast verdreifachen. Als Präsident muss er nun die Niederlage bei den diesjährigen Wahlen verantworten. «Sowohl beim Erfolg 2019 wie bei der Niederlage 2023 ist sein Anteil jedoch eher beschränkt», sagt Urs Leuthard, Leiter der Bundeshausredaktion von SRF. «Die Wählerinnen und Wähler entscheiden sich aufgrund der aktuellen oder gefühlten Probleme und nicht aufgrund der Parteipräsidenten. Die Grosswetterlage der letzten vier Jahre mit Corona-Pandemie, Ukrainekrieg, CS-Niedergang und anderen Krisen war nicht förderlich für die Klimapartei und ihre Verzichtsrhetorik.»

Warum war Glättli eher unbeliebt bei der Wählerschaft? «Der zweifelnde Intellektuelle war wohl nicht die richtige Person, um die Aufbruchstimmung des Wahlsieges 2019 zu konsolidieren. Dafür fehlt ihm die rhetorische Brillanz eines Gerhard Pfister oder die strategische Penetranz der SVP-Spitze», sagt Urs Leuthard weiter. «Dass Glättli mal so richtig auf den Tisch haut, kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen. Aber genau das braucht es manchmal, um die Menschen innerhalb und ausserhalb der Partei mitzureissen.» Es war bezeichnend, dass Glättli in den SRG-Wahlbarometern der letzten Jahre von allen Parteipräsidenten bei der eigenen Wählerschaft jeweils am schlechtesten abschnitt.  

Könnte Glättlis Rücktritt die zweiten Ständeratswahlgänge beeinflussen? Glättli bezeichnet sich im Interview mit SRF selber als «Gesicht dieser Wahlniederlage». Insofern könnte sein Rücktritt auch Auswirkungen auf die zweiten Wahlgänge der Ständeratswahlen in den Kantonen Zürich und Tessin haben. «Im Fussball gibt es den Effekt, dass ein Trainerwechsel Schwung bringen kann. Aber hier sehe ich das eher weniger», sagt SRF-Bundeshauskorrespondent Dominik Meier. Im Tessin habe die grüne Kandidatin Greta Gisin ohnehin nur Aussenseiterchancen. In Zürich ist es ausserdem keine Grüne, sondern mit Tiana Moser eine Grünliberale, welche antritt.

Balthasar Glättli spricht in ein Mikrofon, das ihm ein Kameramann hinhält.
Legende: Balthasar Glättli führte die Grüne Partei Schweiz während vier Jahren als Parteipräsident. Nun stellt er sich nicht mehr zur Wiederwahl. KEYSTONE/Peter Schneider

Was bedeutet der Rücktritt für die Bundesratsambitionen der Grünen? Die nächste wichtige Etappe für die Grünen sind die Bundesratswahlen in einem Monat, bei denen sie die FDP angreifen. Entsprechend hätte Glättli seinen Rücktritt erst danach bekanntgeben wollen, um die Kampfkandidatur des Grünen-Nationalrats Gerhard Andrey nicht mit Personaldiskussionen zu überlagern. Nun ist die Nachricht dennoch durchgesickert. Das dürfte die Aussichten auf eine grüne Bundesratskandidatur weiter verdüstern. «Für die Partei ist dieses Jahr nicht mehr viel zu gewinnen. Die Devise heisst wohl eher, dieses schwierige Jahr rasch abzuhaken», bilanziert Dominik Meier.

Wer könnte die Grünen in die Zukunft führen? Derzeit sind besonders viele Frauen als Ersatz für Balthasar Glättli an der Spitze der Grünen im Gespräch. Mögliche Deutschschweizer Kandidatinnen sind zum Beispiel die Nationalrätinnen Franziska Ryser, Marionna Schlatter oder Sibel Arslan. Auch die grüne Fraktionschefin und Berner Nationalrätin Aline Trede ist im Gespräch.

Glättli-Nachfolge: Wer kommt infrage?

Tagesschau, 14.11.2023, 12:45 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel