Zum Inhalt springen

Wegen Drohung gegen Bundesrat Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Klimaaktivisten

Mit einer «Rebellion» wollten sie die Schweizer Regierung zu mehr Klimaschutz bewegen. Jetzt läuft ein Strafverfahren.

Zürich werde im Oktober lahmgelegt, so die Ankündigung einer «Rebellion» im Sommer 2021. Tatsächlich wurden einige Strassen besetzt, eine eigentliche «Rebellion» war das kaum – aber der Versuch, den Bundesrat per Ultimatum zum Handeln zu zwingen.

Das könnte rechtliche Konsequenzen haben: Es besteht der Verdacht der versuchten Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Die Bundesanwaltschaft (BA) hat ein Strafverfahren gegen mehrere Personen eröffnet, wie sie Recherchen von «SRF Investigativ» bestätigte.

Weshalb jetzt die Bundesanwaltschaft ermittelt

Box aufklappen Box zuklappen

Wegen Aktionen sogenannt zivilen Widerstands für mehr Klimaschutz wie Besetzungen oder Blockaden laufen in mehreren Kantonen wie Bern, Waadt oder Zürich Strafverfahren. Einige davon hat nun die Bundesanwaltschaft übernommen, dies weil sie zuständig ist, wenn Behörden oder Beamte des Bundes von möglichen Drohungen oder Nötigung betroffen sind.

Dieser Verdacht besteht nach der Kundgebung der Gruppe «Extinction Rebellion» vom 22. Juni 2021 in Bern. Dabei sei, so teilt die BA mit, der Bundesrat mutmasslich schriftlich und durch entsprechende Manifestation zur Erfüllung von verschiedenen klimapolitischen Forderungen aufgefordert worden, und ansonsten die Stadt Zürich ab dem 3. Oktober 2021 so lange blockiert werde, bis die Forderungen erfüllt seien.

Das Strafverfahren der BA richtet sich gegen mehrere Personen und betrifft mehrere Vorwürfe: versuchte Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, eventuell versuchte Nötigung, Hinderung einer Amtshandlung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen sowie Widerhandlung gegen das Kundgebungsreglement der Stadt Bern.

Das Strafverfahren ist noch offen, für alle beschuldigten Personen gilt die Unschuldsvermutung.

«Sie können mich ins Gefängnis schicken»

Eine der Beschuldigten hat sich im Lauf der Recherchen von «SRF Investigativ» als Betroffene des BA-Strafverfahrens zu erkennen gegeben: die Klimaaktivistin Cécile Bessire. Sie war Teil der Gruppe, die im Juni 2021 ihre Hände mit Sekundenleim am Bundeshaus festgeklebt hatten.

Im Interview sagt Bessire, was die Menschheit wirklich bedrohe, sei die Klimakrise: «Wir müssen alles machen, was wir können, um zu verhindern, dass wir in ein paar Jahren, dass unsere Kinder in ein paar Jahren verhungern.» Dafür sei sie bereit, die Konsequenzen zu tragen. «Sie können mein Geld nehmen. Sie können mich bestrafen, sie können mich ins Gefängnis schicken. Wenn ich jetzt nichts mache, dann werde ich sowieso alles verlieren.»

Eine Vertreterin von «Extinction Rebellion» schreibt auf Anfrage, bei der Demonstration in Zürich habe es «nicht die geringste Gewalt» gegeben, kein Sachschaden sei angerichtet worden. Die Strafuntersuchung zeige, so schreibt «Extinction Rebellion», wie der Staat viel Geld und Energie investiere, «um Aktivisten einzuschüchtern, die einfach von ihrem Grundrecht Gebrauch gemacht haben, sich friedlich zu versammeln und zu versuchen, über die Klima- und Umweltkatastrophe zu informieren».

Für den Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Da es sich um einen erfolglosen Versuch handelte ohne Einsatz von physischer Gewalt, dürfte die Strafe bei einer Verurteilung geringer ausfallen. Das Strafverfahren ist offen, es gilt für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung.

Der Frust in der Klimabewegung nimmt zu

Wie Cécile Bessire halten viele andere Aktivistinnen und Aktivisten im radikalen Teil der Bewegung illegale Aktionen für legitim, da sich die Menschheit in einer Notlage befinde und Politik wie Wirtschaft nicht angemessen handelten.

Unterwegs mit radikalen Klimaschützer:innen

Box aufklappen Box zuklappen

«SRF Investigativ» hat während mehrerer Wochen im April und Mai verschiedene Gruppen und Aktivist:innen der Klimabewegung getroffen, einige der Aktionen dokumentiert.

Dabei wurde deutlich, dass sich ein radikaler Flügel innerhalb der Klimabewegung gebildet hat, der den demokratischen und rechtstaatlichen Weg zu mehr Klimaschutz für gescheitert erachtet. Manche fühlen sich deshalb zum Handeln verpflichtet und erachten Illegales als legitim. So kam es 2021 auch zu mehreren Sabotageakten gegen Werke von Holcim.

Zudem haben sich Berührungspunkte zwischen radikalen Klimaaktivisten und teils gewaltbereiten Linksextremen herausgebildet, das zeigt sich etwa an Aufrufen zu unbewilligten Kundgebungen aus linksextremen Kreisen: die Aufrufe werden in Sozialen Medien auch von Gruppen wie dem Klimastreik weiterverbreitet.

In diesem radikalisierten Teil der Klimabewegung ist der Frust über angeblich ausbleibende Klimaschutzmassnahmen besonders gross, weshalb man gemäss den Recherchen vermehrt direkte Aktionen durchführen will. Andere Teile der Klimabewegung halten an der Teilnahme im demokratischen Prozess fest oder organisieren weiterhin bewilligte Kundgebungen – manche Aktivistinnen und Aktivisten kombinieren alle Aktionsformen.

Die radikaleren Aktionen sollen nicht mehr nur symbolischen Charakter haben wie noch in Bankfilialen oder auf dem Bundesplatz, sondern zielen auf Wirkung: wie die Blockade eines grossen Tanklagers im Kanton Zürich durch den Klimastreik im Mai. Dabei kam es auch zu Handgreiflichkeiten seitens der Lastwagenfahrer gegenüber Aktivisten, die die Auslieferung von Öl und Benzin stoppen wollten.

Rundschau, 8.6.2022, 20:05 Uhr

Meistgelesene Artikel