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Wehrwille der Jugend «Junge Schweizer…»: Wie das Vaterland mit seinen Soldaten haderte

Konsumverwöhnt und antiautoritär: Schon vor fünfzig Jahren wurde am Wehrwillen der Jugend gezweifelt. Eine Rückblende.

Wir schreiben das Jahr 1974. Der Eiserne Vorhang durchschneidet Europa, es herrscht Kalter Krieg. So richtig fröstelt es aber nicht alle. «I gseh würklich nid ii, wieso i die 17 Wuche mues mache», bernert der junge Mann ins Mikrofon der «Schweizer Filmwochenschau».

Aber es hilft alles nichts. Am Militärdienst führt (noch) kein Weg vorbei. Wer verweigert, dem droht Gefängnis. Der namenlose Rekrut gibt sich geschlagen. «Guet, i bi de Tschumpu hie und mache mys Züüg, aber derzue istelle wird i mi nie chönne.»

Kameraschwenk zu den Rekruten im Massenschlag. Verwuschelte Haare, bedröppelte Blicke, Flaum an den Backen. «Junge Schweizer …», seufzt der Sprecher des Berichts. Und lässt die Worte wirken, während ein Rekrut schicksalsergeben seine Uniform fasst.

Dann fällt der Scharfrichter sein Urteil: «Bewaffnete Neutralität, Unabhängigkeit des Vaterlandes: Für diese Generation sind das keine Wertbegriffe mehr. Und ausgerechnet von diesen konsumverwöhnten Antiautoritären verlangt die Armee widerspruchslosen Gehorsam.»

Bröckelt der Wehrwille? Bundesbern ist alarmiert

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Rekruten in der Schweizer Armee
Legende: Keystone/Christian Beutler

Angesichts der veränderten Bedrohungslage durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine will auch die Schweiz aufrüsten. «Nachgerüstet» sollen auch der Wehrwille und Widerstandsgeist der jungen Generation, ja der ganzen Gesellschaft.

SVP-Nationalrat Lukas Reimann verlangt vom Bundesrat die «Wiedereinführung der geistigen Landesverteidigung»: «Die Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen, sinkt. Viele würden nicht aktiv an der Verteidigung teilnehmen; im Zweifel eher fliehen als kämpfen. Ein erschreckender Befund, der eine sicherheitspolitische und gesellschaftliche Krise offenbart.»

An der laufenden Herbstsession diskutiert die Politik, wie die Umgehung der Wehrpflicht erschwert und der Abwanderung in den Zivildienst Einhalt geboten werden kann. Mitte-Ständerätin Heidi Z’graggen verlangt derweil eine Strategie zur «Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz und des Wehrwillens» vom Bundesrat: «Ein wichtiger Teil der Verteidigungsfähigkeit besteht nämlich auch im Willen der Bevölkerung, das Land zu verteidigen.»

Geistige Landesverteidigung, das Alpen-Reduit, der Bürger im Wehrkleid: Begriffe, die einst tief in die Schweizer Soldatenseele eingraviert waren, drohen zu verlottern. Zumindest in den Augen derjenigen, die noch mit den Gewissheiten von damals aufgewachsen waren.

Pavillon der Schweizer Armee an der Expo 1964.
Legende: «Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee», sagte einst der Bundesrat. An der Expo 1964 wurden die Worte quasi in Beton gegossen. Wikicommons

Noch an der Expo 1964 in Lausanne präsentiert sich die Schweizer Armee in einem stachligen Pavillon. Drinnen flimmert der martialische Film «Wehrhafte Schweiz» über die Grossleinwand. Millionen von Besucherinnen und Besuchern verlassen den Betonigel wieder, wahlweise irritiert oder mit dem Messer zwischen den Zähnen.

Mit einem Effektivbestand von knapp 700'000 Armeeangehörigen gilt die Schweiz auch noch in den 1970-ern als Militärmacht in Europa. Aber eine junge Generation, getragen vom Geist der 68-er, hinterfragt die bis auf die Zähne bewaffnete Neutralität, den Drill und blinden Gehorsam.

Wo die Angst regiert

«Obwohl in der Schweiz seit Jahrzehnten ein rotes Feindbild aufgebaut wird, sehen 35 Prozent der 18- bis 30-Jährigen keinen Sinn mehr in der Armee», heisst es in Karl Saurers Dokumentarfilm «Ruhe». Das Schweizer Fernsehen verhindert seine Ausstrahlung im letzten Moment – aus Angst vor einer Empörungswelle.

Das aufrührerische Werk porträtiert die Armee als das «letzte Glied in der Kette schweizerischer Erziehungsmassnahmen»: «Hier regiert die Angst. Die Angst vor der Sanktion, die Angst, gesellschaftlich ausgeschlossen zu werden. Die meisten passen sich deswegen an.»

Lange Haare, weiche Knie?

Nur wenige stellen die Armee als Institution derart offen infrage. Für viele Junge wird sie aber zum Sinnbild einer verkrusteten Bürgerlichkeit. Das bleibt auch den Generälen und Politikern nicht verborgen. Gegen den Widerstand konservativer Kreise wird schliesslich eine Armeereform vorangetrieben.

Es isch e Schygganiererei, mi schysst ds Militär prinzipiell aa.
Autor: Rekrut in der Schweizer Armee Im Schweizer Fernsehen (1975)

Der «Spiegel» berichtet 1971, wie die «herrenlos gewordene Schweizer Milizarmee» eine «Reihe urpreussischer Gewohnheiten verbannt» – darunter das «Putzen um des Putzens willen» oder «ausgedehnte Nachtübungen vor dem Urlaub». «Diese Konzessionen scheinen den derzeit verantwortlichen Landesverteidigern nötig, da der Wehrwille unter der Schweizer Jugend in den letzten Jahren rapid abnahm», so das deutsche Nachrichtenmagazin.

Die Armee trennt sich von einigen alten Zöpfen, in Begeisterungsstürme verfallen die Wehrpflichtigen trotzdem nicht. Im «Bericht vor 8», dem Regionalmagazin des Schweizer Fernsehens, liefern Rekruten Einblicke, wie es sich unter dem neuen Regime lebt. Die Bilanz fällt gemischt aus.

«Es isch e Schygganiererei, mi schysst ds Militär prinzipiell aa», klagt der eine. Der nächste meint versöhnlich: «Me het eigentlich vil Schlimmers ghört als dass es wirklich gsi isch.» Und dieser junge Mann mag sich nicht mit Systemkritik aufhalten. «Es isch scho no sträng, me gspürts e chly i de Wade», sagt er in die Kamera.

Bei manchen hinterlässt der Dienst am Vaterland nur ein leichtes Zwicken. Bei anderen ist der Schmerz ausgeprägter. Und zwar damals wie heute: Laut einer aktuellen Umfrage der Sonntagszeitung wären nur 41 Prozent der Schweizer bereit, ihr Land im Kriegsfall zu verteidigen.

Rundschau, 10.9.2025, 8:05 Uhr;liea

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