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Zivildienst statt Militär Gewissensprüfung: «Keine alten Hüte wieder auspacken»

Zwei ehemalige Kommissionsmitglieder berichten, wie die «Gewissensprüfung» früher ablief und ob sie eine Wiedereinführung für sinnvoll halten.

Der Nationalrat möchte die Gewissensprüfung für den Zivildienst wieder einführen – weil zu viele Männer Zivil- statt Militärdienst leisten. Das würde bedeuten, dass junge Wehrpflichtige wie früher vor einer Kommission darlegen müssten, inwiefern sie aus ernsthaften Gewissensgründen – und nicht etwa aus Bequemlichkeit oder politischen Motiven – keinen Militärdienst leisten können.

Sibylle Feucht war seit den 1990er-Jahren in der Zulassungskommission zum Zivildienst. Sie hat sich auf ein Stelleninserat beworben – und wurde genommen. Dass sie eine Frau war und nichts mit dem Militär am Hut hatte, passte gut: Die Kommission sollte möglichst vielfältig zusammengesetzt sein.

Demonstrierende im Käfig
Legende: Eine Gruppe junger Menschen reichte im April 2002 in Bern eine Petition gegen die Gewissensprüfung ein. Viele empfanden die mündliche Anhörung als belastend und demütigend. 2009 wurde sie abgeschafft – und in der Folge auch die Kommission zur Zulassung zum Zivildienst aufgelöst. KEYSTONE/Juerg Mueller

 «Anders als der Name suggeriert, war das keine Prüfung», erzählt Feucht. Denn bei einer Prüfung gebe es nur richtig und falsch, und darum sei es bei der Gewissensfrage nicht gegangen. «Es ging darum, zu verstehen, warum jemand durch den Dienst an der Waffe in einen Konflikt mit seinem Gewissen gerät.» Bei manchen waren das religiöse oder pazifistische Gründe, andere lehnten Gewalt im Alltag ab.

Die meisten waren «Überzeugungstäter»

Peter Schwarz hat im Unterschied zu Feucht Militärdienst geleistet, er war Unteroffizier. Auch er hat sich für die Kommission beworben und war die letzten drei Jahre dabei – bis 2009. In dieser Zeit hat er mit rund 150 Personen über ihr Gewissen gesprochen. Die meisten seien «Überzeugungstäter» gewesen, erzählt Schwarz: «Sie konnten klar darlegen, warum für sie der Militärdienst ein No-Go ist.»

Die Antworten der jungen Männer waren laut den beiden ehemaligen Kommissionsmitgliedern häufig ausserordentlich interessant. Richtig gute Gespräche hätten sich ergeben.

Aufschrift auf einer Hosentasche: Zivildienst
Legende: Die Zivildienstler werden für verschiedene Aufgaben eingesetzt, zum Beispiel zum Bauen von Trockenmauern. Keystone/Urs Flueeler

Und manchmal zeigte sich laut Schwarz in den Unterhaltungen, dass es sogar eine Alternative zum Zivildienst gebe: «Wir hatten Leute, die gesagt haben, sie wollen nicht auf Menschen schiessen und da haben wir zurückgefragt, ob sie sich einen waffenlosen Dienst bei der Sanität oder in der Küche vorstellen könnten.»

Hatten Gymnasiasten die besseren Karten?

Der Bundesrat muss einen Bericht zur Wiedereinführung der Gewissensprüfung verfassen. Die Gegner sagen, wer das Argumentieren gelernt habe, etwa am Gymnasium, habe bei einer Gewissensprüfung bessere Karten.

Frauen können nicht freiwillig Zivildienst leisten

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Weil der Zivildienst ein Ersatzdienst für den Militärdienst bei Gewissensproblemen ist, können Frauen nur Zivildienst leisten, wenn sie sich freiwillig zum Militär melden und später Gewissensgründe geltend machen.

Eine Möglichkeit, freiwillig Zivildienst zu leisten, gibt es – trotz einiger politischer Vorstösse – nicht. So haben denn auch nur sehr wenige Frauen bisher Zivildienst geleistet. Wie viele genau, das weiss niemand. Das Bundesamt für Zivildienst (Zivi) zählt nur die Diensttage: Der Anteil der von Frauen geleisteten Diensttage liegt in den letzten 20 Jahren zwischen 0.01 und 0.2 Prozent.

«Die gesellschaftliche Wirkung des Zivildienstes wird primär durch die geleistete Arbeit – also die Diensttage – bestimmt und nicht allein durch die Anzahl der Zivildienstleistenden», schreibt Miriam Spychiger vom Zivi auf Anfrage. «Eine detaillierte Auswertung des Frauenanteils ist für die Zulassung zum und für den Vollzug des Zivildienstes deshalb nicht relevant und wird nicht systematisch durchgeführt.»

Das können die beiden ehemaligen Kommissionsmitglieder nicht bestätigen: «Dass sprachgewandte Personen einen Vorteil gehabt hätten, habe ich so nicht erlebt», sagt Feucht. Beeindruckt hätten sie vor allem junge Handwerker, die das Problem zupackend gelöst und sich nicht in Theorien verstiegen hätten.

Auch Schwarz erzählt, für ihn sei überraschend gewesen, dass Personen ohne Ausbildung oder mit einer Berufslehre im mündlichen Ausdruck am überzeugendsten waren. «Bei Nichtakademikern kamen weniger Allgemeinplätze, bei Maturanden und Studenten musste man konkreter nachfragen.»

«Keine alten Hüte wieder auspacken»

Der Vorschlag, die Gewissensprüfung wieder einzuführen, kommt bei den beiden ehemaligen «Gewissensprüfern» nicht so gut an. Schwarz hat sich zwar noch kein abschliessendes Urteil gebildet, findet aber, die Armee müsse zuerst ihre Probleme lösen, statt einfach die Hürde zum Zivildienst zu erhöhen.

Und Sibylle Feucht fände es besser, die Dienstpflicht grundsätzlich neu aufzustellen – eine Art allgemeine Dienstpflicht für alle wie in Schweden –, statt alte Hüte wieder auszupacken.

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Rendezvous, 08.07.2025, 12:30 Uhr ; kobe;flal;brus

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