In Rom findet die vierte Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine statt. Drei Jahre dauert der Krieg nun schon, und es geht darum, wie die Ukraine wieder aufgebaut werden kann. Auch die Schweiz ist in Rom dabei. Toni Frisch, ehemaliger Leiter der humanitären Hilfe beim Bund, erklärt, wie ein Wiederaufbau funktioniert.
SRF News: Was braucht es für einen Wiederaufbau – ausser genügend Geld?
Toni Frisch: Man muss die Situation laufend beurteilen und definieren, wo die grössten Bedürfnisse sind. Das tut die Ukraine schon seit Beginn des russischen Angriffskriegs. Nach jedem Angriff müssen die Dinge wieder in Ordnung gebracht werden, soweit das möglich ist. Man muss während des Krieges nicht nur von Koordination, Aufbau und Wiederaufbau sprechen, sondern man muss ganz gezielt und entschlossen vorgehen. Das ist wichtig.
Kraftwerke, Wasserversorgung, Spitäler, Schulen und Kommunikationssysteme müssen funktionieren – sonst ist das Land lahmgelegt.
Wo fängt man bei einem Wiederaufbau an?
Erstens ist die kritische Infrastruktur entscheidend. Energie, Kraftwerke, Wasserversorgung, Spitäler, Schulen und Kommunikationssysteme müssen funktionieren, sonst ist das Land lahmgelegt. Und das ist ja das Ziel der russischen Angriffe. Nebst der Infrastruktur geht es zweitens um die Koordination: Es gibt eine internationale Koordinationsplattform, auf der die wesentlichen Träger dieses Wiederaufbaus zusammenarbeiten. Mit dabei sind die Ukraine, die G7 oder die EU. Hinzu kommen Weltbank und die Europäische Entwicklungsbank.
Wie sieht der Wiederaufbau beispielsweise eines Spitals in einer Frontstadt konkret aus?
Zuerst braucht es Abklärungen wegen der hunderttausend oder sogar Millionen von Blindgängern. Dann gibt es eine Neuplanung, die schrittweise das Dringendste und das Zwingende in den Spitälern – Notfall oder Operationssäle oder Intensivstationen – zumindest provisorisch vorsieht. Da braucht es den Staat, es braucht die Region, es braucht die Privatunternehmer. Und es braucht auch internationale Spezialisten – und nicht zuletzt finanzielle Mittel.
Die Schweiz legt ihre Schwergewichte auf Dezentralisierung, aber auch Basisinfrastruktur, wie Energie, Wasser und Verkehr.
Wer entscheidet, welche Gelder für welche Arbeiten zu wem kommen?
Das ist ein komplizierter Prozess. Die Weltbank beispielsweise hat klare Prioritäten, wo sie ihre Mittel hinfliessen lässt. Die Europäische Entwicklungsbank hat andere. Die Ukraine selbst muss sagen, wo ihre Prioritäten sind, was sie selbst tun kann und was das Ausland tun soll. Die Schweiz legt ihre Schwergewichte auf Dezentralisierung, aber auch auf die Basisinfrastruktur: Energie, Wasser oder Verkehr. Jedes Land hat seine Spezialitäten, deshalb muss man sich genau absprechen, wer was tut. Sonst gibt es Doppelspurigkeit oder aber Lücken.
Die Ukraine macht in Bezug auf Korruption grosse Fortschritte.
Wie steht es mit der Korruption?
Korruption ist natürlich eine grosse Sorge. In der Ukraine ist sie ein Überbleibsel aus der Sowjetzeit und behindert die Arbeit. Aber schon an der Wiederaufbaukonferenz in Lugano ist das Thema angesprochen worden. Die Ukraine macht diesbezüglich grosse Fortschritte, weil sie für die EU als möglicher Partner die Voraussetzungen zur Korruptionsbekämpfung schaffen muss. Es ist wichtig, dass dies die Schweizer wissen, um sicher sein zu können, dass das Geld auch in die Projekte geht. Die Korruption wird dadurch auf ein Minimum eingeschränkt.
Das Gespräch führte Romana Kayser.