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Wohnungsnot in Bern Wenn die fünfzigste Absage nicht das Ende ist

Armutsbetroffene Menschen spüren die Wohnungsnot in den Städten besonders stark. Die Stadt Bern setzt auf Wohnberatung. Ein Besuch.

10 Uhr vormittags. Im Wartebereich der Wohnberatung der Stadt Bern sitzen vier Frauen, die Unterstützung suchen. Darunter die 70-jährige Maria. Nachdem ihre Beziehung in die Brüche gegangen war, musste sie aus der Wohnung raus. Aktuell wohnt sie in einem Zimmer zur Untermiete: «Das ist kein Zustand für mich, ich brauche eine eigene Wohnung.»

Die Digitalisierung ist für viele unserer Klientinnen und Klienten eine grosse Hürde.
Autor: Leo Schindler Leiter Wohnberatung Stiftung Heilsarmee

Maria geht mehrmals in der Woche in die Wohnberatung, die die Stiftung Heilsarmee im Auftrag der Stadt Bern anbietet. Ihr Problem sei, dass sie sich am Computer nicht zurechtfinde. «Damit ist sie nicht alleine», sagt Leo Schindler. Er leitet die Wohnberatung und sitzt Maria gegenüber.

Beratungsgespräch in der Wohnberatung Stadt Bern.
Legende: Maria sucht seit fünf Monaten eine Wohnung in der Stadt Bern, bisher ohne Erfolg. Leo Schindler von der Wohnberatung unterstützt sie bei der Suche. SRF / Katharina Schwab

«Die Digitalisierung ist für viele unserer Klientinnen und Klienten eine grosse Hürde.» Die gesamte Wohnungssuche, die Anmeldung, das Ausfüllen und Einreichen der Bewerbung habe sich ins Internet verschoben. Das einzig Analoge sei noch die Besichtigung.

Ein junger Mann mit blonden Haaren und Bart sitzt in einem Büro.
Legende: «Im Moment kann man noch Wohnungen finden, aber es ist auf jeden Fall schwierig geworden», sagt Leo Schindler, Leiter der Wohnberatung bei der Stiftung Heilsarmee. SRF / Katharina Schwab

Die Bedürfnisse der Menschen, die zu ihm in die Wohnberatung kommen, seien sehr individuell: «Den einen geht es nur um Informationen, wie und wo sie am besten suchen sollen, andere brauchen beim ganzen Prozess Unterstützung», so Schindler. Er schaue meist im ersten Gespräch, wer was nötig habe.

Die Stiftung Heilsarmee führt die Wohnberatung im Auftrag der Stadt Bern seit Februar 2024 durch. Und die Nachfrage ist seit der Einführung gestiegen. Der September war mit 146 Beratungen gar ein neuer «Rekordmonat».

«Grosssanierungen beschäftigen uns immer wieder», sagt Schindler. Man spüre jeweils, wenn die Mieterinnen und Mieter einer grösseren Liegenschaft über die Kündigungen informiert würden. Dabei spiele es eine grosse Rolle, wie lange im Voraus die Menschen informiert würden. «Ein halbes Jahr löst bei den Menschen viel mehr Stress und Not aus als ein ganzes Jahr.»

Bei seiner Arbeit als Wohnberater ist Leo Schindler immer wieder mit persönlichen Schicksalen konfrontiert. Zum Beispiel mit dem einer Klientin, die über 40 Jahre lang in derselben Wohnung gelebt hat und diese nun wegen einer Sanierung verlassen muss. «Da geht es nicht nur um eine neue Wohnung, sondern sie wird gleichzeitig aus ihrem sozialen Umfeld gerissen.» Im hohen Alter machten so viele Veränderungen einiges mit den Menschen, auch psychisch.

So helfen Basel und Zürich

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In Basel gibt es die IG Wohnen. Seit gut 30 Jahren unterstützt sie Menschen, die auf dem freien Wohnungsmarkt bei der Wohnungssuche benachteiligt sind. Die IG Wohnen wird im Rahmen einer Leistungsvereinbarung vom Kanton Basel-Stadt subventioniert.

WohnFit heisst das Angebot von Caritas in der Stadt Zürich. Dabei begleiten freiwillige Mentoren und Mentorinnen armutsbetroffene Menschen beim Prozess der Wohnungssuche.

Solche Beratungsstellen seien wichtig, sagt Jennifer Duyne, Leiterin des Wohnforums der ETH Zürich. Denn gerade sozial benachteiligte Menschen gerieten wegen der Wohnungsnot vielfach in eine prekäre Wohnsituation: «Sie ziehen in befristete Wohnungen, müssen häufiger umziehen, und damit verlieren sie ihre sozialen Netzwerke. Das wiederum ist mit Stress und Depressionen verbunden», sagt Duyne.

Aber: Wohnberatungen alleine reichen aus ihrer Sicht nicht. «Wenn es zu wenig bezahlbare Wohnungen gibt, dann können auch Beratungsstellen dieses Problem nicht lösen», so Duyne.

In manchen Situationen sei er auch eher Lebens- als Wohnberater: «Viele schätzen es sehr, dass sie sich mit uns über ihre Sorgen und ihre Frustration austauschen können und wir ihnen Verständnis entgegenbringen.» Er versuche, die Menschen auch nach der fünfzigsten Absage zu motivieren, wieder aufzustehen und weiterzusuchen.

Nicht motivieren muss Leo Schindler an diesem Tag die 70-jährige Maria. Sie verlässt das Büro mit zwei Besichtigungsterminen. Die Suche nach einer Zweizimmerwohnung in der Stadt Bern für sie und ihren Hund geht weiter.

Rendez-vous, 28.10.2025, 12:30 Uhr; thon;sten

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