10 Uhr vormittags. Im Wartebereich der Wohnberatung der Stadt Bern sitzen vier Frauen, die Unterstützung suchen. Darunter die 70-jährige Maria. Nachdem ihre Beziehung in die Brüche gegangen war, musste sie aus der Wohnung raus. Aktuell wohnt sie in einem Zimmer zur Untermiete: «Das ist kein Zustand für mich, ich brauche eine eigene Wohnung.»
Die Digitalisierung ist für viele unserer Klientinnen und Klienten eine grosse Hürde.
Maria geht mehrmals in der Woche in die Wohnberatung, die die Stiftung Heilsarmee im Auftrag der Stadt Bern anbietet. Ihr Problem sei, dass sie sich am Computer nicht zurechtfinde. «Damit ist sie nicht alleine», sagt Leo Schindler. Er leitet die Wohnberatung und sitzt Maria gegenüber.
«Die Digitalisierung ist für viele unserer Klientinnen und Klienten eine grosse Hürde.» Die gesamte Wohnungssuche, die Anmeldung, das Ausfüllen und Einreichen der Bewerbung habe sich ins Internet verschoben. Das einzig Analoge sei noch die Besichtigung.
Die Bedürfnisse der Menschen, die zu ihm in die Wohnberatung kommen, seien sehr individuell: «Den einen geht es nur um Informationen, wie und wo sie am besten suchen sollen, andere brauchen beim ganzen Prozess Unterstützung», so Schindler. Er schaue meist im ersten Gespräch, wer was nötig habe.
Die Stiftung Heilsarmee führt die Wohnberatung im Auftrag der Stadt Bern seit Februar 2024 durch. Und die Nachfrage ist seit der Einführung gestiegen. Der September war mit 146 Beratungen gar ein neuer «Rekordmonat».
«Grosssanierungen beschäftigen uns immer wieder», sagt Schindler. Man spüre jeweils, wenn die Mieterinnen und Mieter einer grösseren Liegenschaft über die Kündigungen informiert würden. Dabei spiele es eine grosse Rolle, wie lange im Voraus die Menschen informiert würden. «Ein halbes Jahr löst bei den Menschen viel mehr Stress und Not aus als ein ganzes Jahr.»
Bei seiner Arbeit als Wohnberater ist Leo Schindler immer wieder mit persönlichen Schicksalen konfrontiert. Zum Beispiel mit dem einer Klientin, die über 40 Jahre lang in derselben Wohnung gelebt hat und diese nun wegen einer Sanierung verlassen muss. «Da geht es nicht nur um eine neue Wohnung, sondern sie wird gleichzeitig aus ihrem sozialen Umfeld gerissen.» Im hohen Alter machten so viele Veränderungen einiges mit den Menschen, auch psychisch.
In manchen Situationen sei er auch eher Lebens- als Wohnberater: «Viele schätzen es sehr, dass sie sich mit uns über ihre Sorgen und ihre Frustration austauschen können und wir ihnen Verständnis entgegenbringen.» Er versuche, die Menschen auch nach der fünfzigsten Absage zu motivieren, wieder aufzustehen und weiterzusuchen.
Nicht motivieren muss Leo Schindler an diesem Tag die 70-jährige Maria. Sie verlässt das Büro mit zwei Besichtigungsterminen. Die Suche nach einer Zweizimmerwohnung in der Stadt Bern für sie und ihren Hund geht weiter.