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Die Stadt Zürich setzt vorläufig nicht auf ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren
Aus Regionaljournal Zürich Schaffhausen vom 16.05.2023. Bild: Keystone/Alessandro Della Bella
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Zu teuer und zu aufwändig Die Stadt Zürich will nicht auf anonyme Bewerbungen setzen

Bewerberinnen und Bewerber sollen weiter mit Namen und Geschlecht erkennbar sein. Die Stadt Zürich versenkt ein Pilotprojekt.

Es war als Massnahme gegen Vorurteile und Diskriminierungen gedacht. Bei Bewerbungen für eine Stelle bei der Stadt Zürich sollten Namen, Alter, Herkunft, Geschlecht, Zivilstand oder Aussehen von Kandidatinnen und Kandidaten keine Rolle spielen. Das Stadtzürcher Parlament erteilte der Stadt vor eineinhalb Jahren den Auftrag, solch anonymisierte Bewerbungen zu testen. So weit kommt es nun aber nicht.

Das Stadtzürcher Finanzdepartement, das sich mit anonymisierten Bewerbungen befassen sollte, bestätigt gegenüber SRF, dass das Projekt nicht gestartet wird. Dafür gäbe es mehrere Gründe, sagt Sprecherin Claudia Nägeli. «Unsere aktuelle Software lässt eine komplette Anonymisierung der Dossiers nicht zu. Das heisst: Wir müssten eine neue Software kaufen und das wäre mit enormen Kosten verbunden.»

Schulungen statt teure Internetprogramme

Weiter habe ein solches Verfahren auch Konsequenzen für die Personalabteilungen und die Bewerberinnen. «Eine anonyme E-Mail-Adresse aufsetzen, die kompletten Unterlagen manuell schwärzen. Das alles ist mit einem enormen Aufwand verbunden und verzögert den Bewerbungsprozess», sagt Nägeli weiter. Und in Zeiten des Fachkräftemangels sei dies für die Stadt Zürich ein Nachteil der in der Personalrekrutierung.

Zwei Männer sitzen an einem Tisch.
Legende: Die Stadt Zürich will mit Schulungen erreichen, dass in Vorstellungsgesprächen keine Vorurteile die Entscheidungsfindung beeinflussen. Keystone/Gaetan Bally

Und trotzdem: Der Stadt Zürich sei es ein Anliegen, gegen Diskriminierung vorzugehen, betont Nägeli. Sie geht deshalb nun einen anderen Weg und will prüfen, mit welchen Tools und Schulungen Vorurteile im gesamten Bewerbungsprozess, inklusive Vorstellungsgespräch, abgebaut werden können.

Lanciert wurde das Anliegen der anonymisierten Bewerbungen unter anderem vom Stadtzürcher FDP-Präsidenten Përparim Avdili, er engagiert sich auch beim Verein Secondas Zürich. Für ihn ist das Vorgehen der Stadt Zürich enttäuschend. «Warum ein solches Projekt ausgerechnet in der Stadt Zürich, die sonst ja sehr gerne ihre Vorbildfunktion wahrnimmt, nicht umgesetzt wird, bleibt mir ein Rätsel», sagt er. Viele Firmen würden bereits sehr erfolgreich mit diesem Verfahren umgehen.

Das Gefühl kann täuschen

Sensibilisierungsmassnahmen wie Schulungen würden hier nicht ausreichen, fügt Avdili an. Eine Studie der Universität Neuenburg hat gezeigt, dass Menschen mit ausländischem Namen etwa 30 Prozent mehr Bewerbungen verschicken müssen, bis sie eine Einladung erhalten. Und mit einem anonymisierten Bewerbungsverfahren, so Avdili, sei garantiert, dass Entscheidungsträger nicht durch ihre Gefühle fehlgeleitet würden, sondern die geeignetsten Kandidaten anstellten.

Anonyme Bewerbungen: Das sagt die Personalberaterin

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Legende: Remo Neuhaus

Esther-Mirjam de Boer ist CEO des Personalberaters Brainboards. Mit ihrer Firma hilft sie anderen Unternehmen, inklusiver und diverser zu werden.

SRF News: Die Stadt Zürich will vorläufig keine anonymisierte Bewerbungsverfahren einführen. Ein entsprechendes Projekt wurde gestrichen. Erstaunt Sie dieser Entscheid?

Esther-Mirjam de Boer: Der Entscheid erstaunt mich nicht. Eigentlich ist es eine wirksame Massnahme, das ist wissenschaftlich erforscht und erwiesen und es wird auch in vielen Ländern stärker gepflegt als in der Schweiz. Aber in der Schweiz kennt man diese Anonymisierung von Bewerbungen nicht gut und darum erstaunt es mich eigentlich nicht.

Sind denn die Hindernisse bei diesen anonymisierten Bewerbungen zu gross?

Ich glaube, es ist ein zu grosser Veränderungsschritt auf einmal. Wenn wir Unternehmen oder Organisationen beraten, dann empfehlen wir, diesen grossen Veränderungsschritt vorderhand in einem Teil des Unternehmens auszuprobieren, die Prozesse zu testen und zu eruieren, was alles genau benötigt wird. Und im Anschluss dann zu evaluieren, welche Effekte damit erzielt werden konnten.

Wenn Sie diese Art von Bewerbungsverfahren anderen Firmen empfehlen. Stossen Sie auf offene Ohren oder auf Widerstand?

Ein bisschen auf beides. Widerstand erlebe ich, weil es ungewöhnlich ist. In der Schweiz ist man sich beispielsweise immer noch gewöhnt, ein Foto des Kandidaten zu sehen. Andererseits gibt es aber auch Personen in Unternehmen, die wissen, dass solche, anonymisierten Verfahren eigentlich bessere Personalentscheide hervorbringen. Man kann sich viel besser auf die Qualifikationen der Kandidatin konzentrieren, wenn all die Störinformationen wie der Nachname, der Jahrgang oder der Zivilstand nicht vorhanden sind. Diese beeinflussen nämlich einen Personalentscheid.

Wenn man damit die besseren Personallösungen trifft, warum zögern dann noch so viele Firmen?

Es menschelt in den Unternehmen. Sie haben das Gefühl, dass sie nicht alle notwendigen Informationen zur Verfügung haben. Der Mensch ist eigentlich ein emotionales Wesen, und kein vernünftiges. Und auch wenn der Mensch weiss, dass etwas vernünftig ist, heisst das noch lange nicht, dass er sich dann auch so verhält.

Was muss passieren, dass Unternehmen künftig auf anonymisierte Bewerbungen setzen?

Ich denke der Leidensdruck muss noch steigen. Im Rahmen des Fachkräftemangels kommen Firmen tatsächlich an ihre Wachstumsgrenzen, an ihre Gewinngrenzen. Sie finden nicht mehr genügend Leute, um ihr gesamtes Potenzial auszuschöpfen. Und das schmerzt im Portemonnaie. Und wenn dieser Schmerz genug gross ist, dann steigt auch die Bereitschaft, etwas zu verändern.

Das Gespräch führte Pascal Kaiser.

Avdili will nun prüfen, ob er weitere, politische Schritte einleiten soll, um anonyme Bewerbungen in der Zürcher Stadtverwaltung durchzusetzen. Auch der Kanton Zürich unterzieht das Verfahren aktuell einer Prüfung, im Justizdepartement läuft derzeit ein Projekt im Bereich Justizvollzug. Eine Umsetzung zeichnet sich aber auch dort noch nicht ab. Auf Anfrage heisst es: Sowohl eine IT-unterstützte als auch eine manuelle Lösung hätten erhebliche Kosten zur Folge.

SRF1, Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 16.05.2023, 06:31 Uhr;

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