Darum geht es: Trans Jugendliche, also Jugendliche, die sich nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren können, suchen immer häufiger Hilfe bei Fachstellen oder in Arztpraxen. Jedoch fehlt es zu dieser Thematik an Fachwissen, Fachpersonal und Erfahrungswerten. Seit Jahren wird im deutschsprachigen Raum an Leitlinien gearbeitet, begleitet von hitzigen Diskussionen. Eine erste Fassung ist im März einem ausgewählten Kreis präsentiert worden. Die Situation für behandelnden Ärztinnen und Psychiater bleibt herausfordernd.
Das ist das Problem: In den letzten Jahren haben die Fälle von Jugendlichen, die sich im falschen Körper fühlen, so stark zugenommen, dass der Wissensstand hinterherhinkt. «Wir haben zu wenig empirische Daten und Langzeitstudien», sagt Michael Kaess, Direktor und Chefarzt der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD). «Aus meiner Sicht wissen wir an vielen Stellen noch nicht genug.» Das habe auch damit zu tun, dass die jungen Menschen mit Geschlechtsidentitätsproblemen eine heterogene Gruppe sind. «Man muss Einzelfälle oder zumindest bestimmte Untergruppen betrachten», sagt Kaess.
Die Krankheitsbilder der Jugendlichen: Nebst dem Geschlechtsidentitätsproblem leiden viele Jugendliche auch an anderen psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, Angststörungen oder Essstörungen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den beiden Problemen müsse aber nicht bestehen, sagt Kaess. «Wir können nicht immer sagen, ist das Geschlechtsidentitätsproblem eine Folge der psychischen Störung oder kommt die psychische Störung durch die Geschlechtsidentitätsproblematik? Oder sind diese Dinge unabhängig voneinander? Da gibt es unterschiedliche Varianten.»
So sollte eine Behandlung aussehen: Die Best Practice sei sicherlich die Abklärung, Beratung und dann gegebenenfalls auch Behandlung bei möglichst spezialisierten Fachpersonen, sagt Kaess. Denn diese hätten schon viele Fälle gesehen und seien daher auf dem aktuellsten Wissensstand. Wichtig sei, dass die Behandlung individuell angepasst werde und die Ärzte in engem Kontakt mit dem Jugendlichen und den Sorgeberechtigten stehen, so Kaess.
«Die Aufgabe des Arztes besteht darin, die Patienten und die Eltern darüber zu informieren, welche Chancen eine solche Behandlung bietet, aber auch, welche Risiken. Letztendlich müssen die jungen Menschen und ihre Sorgeberechtigten die Entscheidung treffen.» Gerade, weil es zu wenig belastbare Daten gebe, müsse man den Betroffen den Lead überlassen.
Deshalb braucht es Leitlinien: Da es zur Geschlechtsidentitätsproblematik noch keine klaren Daten gibt, vertreten Ärzte unterschiedliche Meinungen. Die Leitlinien, von denen ein erster Entwurf vorliegt, sollen der Ärzteschaft Orientierungshilfe geben. Dies sei ein Schritt in die richtige Richtung, meint Kaess. «Die Leitlinien werden aber nicht alle offenen Fragen beantworten und einzelne Aspekte werden sicher noch heiss diskutiert und gegebenenfalls durch weitere Forschung revidiert werden. Die erste Leitlinie sieht immer anders aus als die zehnte».