Wer jetzt noch Hamsterkäufe tätigen müsse, habe zu wenig vorgesorgt. Das schreibt die rechtsextreme Gruppierung «Nationale Aktionsfront» (NAF) am 17. März 2020, einen Tag nachdem der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» ausgerufen hat.
Die NAF rät in ihrem Facebook-Post, man solle sich einen Notvorrat anlegen und wer legal Waffen besitze, soll Munition zulegen. Wem es «vergönnt» sei, eine Waffe zu erwerben, dem «legen wir alternativ Armbrust, Pfeilbogen, etc. ans Herz», schreibt die NAF.
Was sich zunächst wie ein Beitrag von sogenannten «Preppern» angehört, entpuppt sich als rechtsextreme Botschaft: Die NAF schreibt von einer «Invasion» Europas, die unkontrolliert weitergehe. Gemeint sind offensichtlich Flüchtlinge.
Winterthur und der Zentralschweiz
Es ist ein typisches Beispiel, wie rechtsextreme Gruppierungen auch in der Schweiz schon sehr früh das Thema Corona aufgenommen und in ihre Propaganda eingebunden haben. Die weltweite Krise verstärkt dabei eine zentrale rechtsextreme Argumentationslinie: Ein Krieg sei unausweichlich, denn die «weisse Rasse» sei existentiell bedroht.
Die NAF schreibt von drohenden «bürgerkriegsähnlichen» Zuständen: «Der Auftrag ist nach wie vor klar: Bildet Gruppen, schliesst euch zusammen, organisiert euch!»
Die «Nationale Aktionsfront» ist eng verbunden mit einer Gruppierung aus dem Raum Winterthur und der Zentralschweiz, die sich «Eisenjugend» nannte, heute «Junge Tat». Mehrere junge Exponenten aus diesem Umfeld wurden Ende Januar zeitweilig festgenommen. Waffen wurden sichergestellt, die Strafverfahren laufen. Der Vorwurf: Die Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren hätten mutmasslich rechtsextremes Gedankengut weiterverbreitet.
18 Prozent Zuwachs bei den Followern
Seither hat die «Junge Tat» erneut Videos veröffentlicht, das jüngste zeigt muskulöse Männer beim Boxtraining. Auch wenn die Videos von maskulinem Gehabe strotzen, so scheint dahinter doch ein deutlich rechtsextremes Gedankengut zu stehen. Darauf deuten nicht zuletzt die personellen Verbindungen zu bekannten Neonazis in der Schweiz und Deutschland hin.
Die «Junge Tat» scheint damit zu einer neuen Generation von Rechtsextremen zu gehören, die in den USA und Europa nicht mehr im Verdeckten agieren will, sondern bewusst die Aufmerksamkeit sucht.
Diese Aufmerksamkeit finden sie vorab in sozialen Medien. Dabei zeigt sich, dass rechtsextreme Akteure in ganzen deutschsprachigen Raum von der Pandemie und den Schliessungen profitieren konnten.
Das belegt eine Studie des Londoner Instituts für Strategischen Dialog (ISD). Demnach konnten Rechtsextremisten, die bereits vor der Pandemie mit mehr Accounts operierten, häufiger Inhalte teilten und eine grössere Reichweite hatten, 18 Prozent neue Follower verbuchen. Zum Vergleich: Bei Linksextremisten registrierte das ISD zehn Prozent Wachstum, bei islamistischen Extremisten sechs Prozent.
Zugang zu breiterem Publikum
Für den Co-Autor der Studie, Jakob Guhl, ist einer der grossen Unterschiede, dass Rechtsextreme im Verlauf der Coronakrise sehr viel stärker auf Falschinformationen und Verschwörungstheorien über das Virus gesetzt hätten. «Dadurch haben sie das Interesse an Verschwörungstheorien bedient. Das haben die anderen extremistischen Gruppen kaum gemacht.»
Besonders auf Plattformen wie Telegram sei es aufgrund der Nähe zwischen verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Inhalten kaum noch möglich, zwischen den beiden Communities zu unterscheiden, schreibt das ISD in der Studie «Krise und Kontrollverlust».
Dadurch hätten Rechtsextreme nach Kontosperrungen auf Facebook und Youtube wieder Zugang zu einem breiteren Publikum jenseits des harten Kerns ihrer Unterstützer.
Suche nach alternativen Antworten
Gerade auf Plattformen wie Telegram würden sich Falschinformationen über das Virus vermischen mit antisemitischen Verschwörungstheorien. Dazu kommt Hass gegenüber Minderheiten sowie Aufrufe, den Zusammenbruch der gegenwärtigen Ordnung voranzutreiben und die demokratische Ordnung zu stürzen, schreibt das ISD.
Eine zentrale Rolle kommt dabei den Verschwörungstheorien zu, die oft Anziehungspunkt für Menschen auf der Suche nach alternativen Antworten sind. Das zeigt sich etwa in Telegram-Chatgruppen von sogenannten Querdenkern, Maskengegnerinnen oder Corona-Skeptikern.
Dort kommen oft Personen aus der ganzen Breite der Bevölkerung zusammen. Und dort sind oft auch Rechtsextreme präsent – diese stossen in den Chats teils zwar auf Ablehnung, doch aufgrund der schieren Menge an neuen Kontakten gewinnen Rechtsextreme so weiterhin an Publikum und damit laufend an potenziellen neuen Anhängerinnen und Anhängern.