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Zunahme von Autokratien «An einer Demokratie muss man arbeiten»

Demokratien sind weltweit auf dem Rückzug. Das stellte die Demokratieagentur International Idea diese Woche in ihrem Jahresbericht fest. Noch nie gab es seit 1990 so wenige Demokratien wie heute. Politologe Daniel Kübler erklärt, warum dies so ist.

Daniel Kübler

Politologe

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Daniel Kübler ist Professor für Demokratieforschung und Public Governance am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Zudem ist er Direktionsmitglied des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA).

SRF News: Was ist der Grund, dass Demokratien weltweit auf dem Rückzug sind?

Daniel Kübler: Nach einem Höhepunkt in den 2010er-Jahren ist die Demokratie seit einigen Jahren auf dem Rückzug. Die Zahl demokratischer Länder und die Qualität der Demokratie haben abgenommen. Es gibt drei verschiedene Muster von Autokratisierung. Die instabilen Demokratien zum einen, die bei einer ersten Krise zurück in eine Autokratie fallen. So beispielsweise Tunesien.

Je mehr Ungleichheit in einer Demokratie herrscht, desto instabiler wird sie.

Dann gibt es den langsamen Zerfall von demokratischen Verhältnissen in Ländern, die ebenfalls nicht so stabil sind. Und drittens gibt es ein neues Muster, bei dem Akteure in gefestigten Demokratien an die Macht kommen und versuchen, diese zu verändern. So beispielsweise Donald Trump in den USA.

Nicht nur in asiatischen Ländern geht die Demokratie zurück, auch in westlichen Staaten büsst die Demokratie an Beliebtheit ein. Warum?

Das stimmt nicht ganz. Studien haben gezeigt, dass die Demokratie in der Bevölkerung westlicher Länder nach wie vor beliebt ist. Die Unzufriedenheit nimmt aber zu. Denn die Art und Weise, wie gewisse Regierungen regieren, passt nicht allen.

An einer Demokratie muss man arbeiten, denn sie ist kein Selbstläufer.

Warum nimmt die Unzufriedenheit in Demokratien zu?

Ein Grund sind sicher die Herausforderungen mit der Globalisierung. Dazu kommt die Unfähigkeit gewisser Staaten, Probleme zu lösen. All dies ist schlecht für eine Demokratie, denn sie führt zu Ungleichheit. Je mehr Ungleichheit in einer Demokratie herrscht, desto instabiler wird sie, das wusste schon der griechische Philosoph Aristoteles.

Unterstützt die Digitalisierung den Rückgang der Demokratie, weil dadurch Bürger besser überwacht werden können?

Das ist unklar. Die Digitalisierung kann sowohl zur Autokratisierung als auch zur Demokratisierung genutzt werden. Beim arabischen Frühling spielte das Internet eine grosse Rolle. Gleichzeitig nutzt China das Internet, um die Bevölkerung zu überwachen. Somit ist es eine Begleiterscheinung von beidem.

Haben wir im Westen uns so sehr an Demokratie gewöhnt, dass wir vergessen haben, wie zerbrechlich sie ist?

Das kann gut sein. An einer Demokratie muss man arbeiten, denn sie ist kein Selbstläufer. In der Schweiz reagierte die Bevölkerung sehr empfindlich, als ihr Leben wegen des Coronavirus eingeschränkt wurde. Die Leute vergessen in friedlichen Zeiten, was sie an der Demokratie haben. Sobald sie aber eingeschränkt werden, reagieren sie.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen News-Deprivierten und der Abnahme der Demokratie?

News-Deprivierte, also Leute, die keine News lesen, sind ein Phänomen in Gesellschaften, denen es gut geht. Sobald wieder eine Krise kommt, fangen die Leute an wieder News zu lesen. Das konnte man gut während der Corona-Pandemie beobachten. Das ist aber nicht die Ursache, warum Demokratien abnehmen.

Wir müssen zu unseren Institutionen Sorge tragen und verhindern, dass das System umgebaut wird.

Was können wir tun, um die Staatsform der Demokratie zu schützen?

Wir müssen zu unseren Institutionen Sorge tragen und verhindern, dass das System umgebaut wird. Die Grundprinzipien unserer Demokratie müssen bestehen bleiben. So können wir verhindern, dass Populisten die Spielregeln ändern können.

Das Gespräch führte Cindy Schneeberger.

SRF 4 News, 30.11.2022, 9 Uhr ; 

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