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Zusammensetzung des Bundesrats Glaubwürdig geht anders

«Wir sehen uns bei Philippi wieder», schmetterte 1999 ein erzürnter Nationalrat dem Parlament entgegen. Eine offene Drohung, die sich auf die römischen Bürgerkriege vor Christi Geburt bezog. Der zornige Mann war Christoph Blocher: Soeben hatte ihm das Parlament den zweiten SVP-Sitz im Bundesrat verweigert. Obwohl die SVP gerade zur wählerstärksten Partei geworden war, und rechnerisch Anspruch auf einen zweiten Sitz hatte. Dennoch war das Parlament nicht bereit, den «Volkswillen» unmittelbar in einen zweiten Bundesratssitz umzuwandeln.

Funfact: Damals forderten die Grünen, die SVP ganz aus dem Bundesrat zu entfernen. Wahlresultat hin oder her. Heute aber begründet Regula Rytz ihren Bundesratsanspruch genau damit: Dem Willen der Wählerinnen und Wähler.

Abkehr vom bisherigen Modus

Historisch lässt sich das nicht nachvollziehen: Nie hatte der Wahlerfolg einer Partei unmittelbar Auswirkung auf den Bundesrat. Immer mussten sich die Parteien gedulden. Die SP fast 25 Jahre lang, die BGB (Vorgängerin der SVP) zehn Jahre, die SVP vier Jahre. Wer heute also auf die sofortige Umsetzung des Willes der Wählerinnen und Wähler pocht, wie das die Grünen tun, fordert eine Abkehr vom bisherigen System. Und bisher heisst auch: Amtierende Bundesräte werden nicht abgewählt. Die Abwahl von Ruth Metzler 2003 und Christoph Blocher 2007 waren die historischen Ausnahmen, nicht die bisherige Regel.

Die Zauberformel – ein Auslaufmodell

Aber ist 2019 noch zeitgemäss, was schon 1919 galt? Dieser Frage sollten sich die Parteien endlich zuwenden. Seit den Wahlerfolgen der SVP 1999 – also seit 20 Jahren – ist die Regel des Wartens infrage gestellt. Seit Metzler und Blocher auch die Regel, wonach man Amtierende nicht weg wählt. Und jetzt, wo vier Parteien fast gleichauf sind (SP, FDP, Grüne und CVP) wirkt auch die Zauberformel wie eine Erfindung aus dem letzten Jahrhundert, was sie ja auch ist.

Seit Philippi wetteifern die Parteileader vor Bundesratswahlen im argumentativen Salto mortale. Jede Partei zieht die Karte, welche ihr ins Spiel passt. Auf die Wahlen berufen sich die Grünen jetzt – als die SVP dies tat, ignorierten sie dieses Argument. Einen Amtierenden wähle man nicht ab, sagt die FDP jetzt, bei Metzler galt das nicht. Man kann das spannend finden. Aber ehrlich und glaubwürdig geht anders.

Ein Systemwechsel für die Zukunft

Die Parlamentswahlen geben die Zusammensetzung des Bundesrates vor. Und zwar unmittelbar. So wären die Parlamentswahlen indirekte Bundesratswahlen.

Ersatzwahlen während der Legislatur, wie zuletzt Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter, könnten die Bundesratszusammensetzung nicht auf Jahre hinaus festschrauben, entsprechend würden willkürlich terminierte Rücktritte von Magistraten innerhalb der Legislatur abnehmen.

Es bräuchte keine biegsame Formel mehr, sondern eine Rechnung. Denn wahrscheinlich ist, dass sich die der SVP nachfolgenden Parteien über Jahre hinweg Wähleranteile im Prozentbereich abjagen. Das macht das bisherige System noch fragwürdiger.

Der Bundesrat würde gestärkt, wenn seine Zusammensetzung nicht ein Relikt längst vergangener, sondern Abbild der aktuellen Wahlen wäre. Schliesslich folgt die Bundesratswahl unmittelbar auf die Parlamentswahlen. Ein Systemwechsel also würde ins System passen.

Michael Perricone

Chef vom Dienst, SRF Newsroom

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Michael Perricone ist Chef vom Dienst in SRF Newsroom und gibt am Medienausbildungszentrum MAZ einen Kurs für Journalistinnen und Journalisten zum Umgang mit PR. Er hat 2011 als Leiter Ressort Politik bei der «Blick»-Gruppe gearbeitet.

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