Diese Woche war Studienbeginn für tausende angehende Akademikerinnen und Akademiker. Gerade für Studierende aus Rand- und Bergkantonen bedeutet dies ein Umzug in die Universitätsstädte. Ein Grossteil wird nach Abschluss nicht mehr zurückziehen. So gewinnen die einen hochqualifizierte Bewohnerinnen und Bewohner, die anderen verlieren sie. Das Phänomen ist bekannt als «Brain-Drain», als Talentabwanderung.
Nettogewinner: Universitätsstädte
Carole Zahn ist eine der Abwanderer. Für das Medizinstudium zog die Thurgauerin nach Basel. «Ich kann mich erinnern; am Anfang ging ich oft zurück in den Thurgau», sagt die Assistenzärztin. Doch je länger sie fort von zu Hause war, desto seltener wurden die Besuche. Zurück in den Thurgau kam so nach dem Abschluss nicht mehr infrage. Ihr Lebensmittelpunkt hatte sich in die neue Heimat verlagert. Heute arbeitet sie im Spital Männedorf im Kanton Zürich.
Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen es deutlich: Rand- und Bergkantone wie der Thurgau leiden unter dem Verlust von Uniabgängerinnen und -abgängern. Nettogewinner dagegen sind vor allem die grossen Hochschulkantone Zürich, Bern und Waadt.
Die Besten kehren nicht zurück
Stefan Wolter ist Bildungsökonom an der Universität Bern und kennt sich mit den Wanderungsströmen der Akademikerinnen und Akademiker aus. Kantone ohne Hochschulen hätten einen doppelten Nachteil, stellt er fest. «Es kommt weniger als die Hälfte der Studenten, die den Kanton verlassen haben, überhaupt zurück.» Und unter den Rückkehrern seien nicht die besten Studenten.
Das ist ein Verlustgeschäft für die Kantone, die die Studenten geschickt haben.
Das hat vor allem finanzielle Folgen, sagt Wolter. «Problematisch ist dabei, dass diese Kantone praktisch die ganzen Studienkosten übernommen haben, die Steuern dann aber an einem anderen Ort bezahlt werden.» Es bedeute ein Verlustgeschäft für die Kantone, die die Studenten geschickt haben.
Mit Arbeitsplätzen und Bildung gegen «Brain-Drain»
Den hochqualifizierten Arbeitskräften bieten die städtischen Kantone durchaus Vorteile, weiss etwa Cornelia Regli aus dem Kanton Uri. Sie und ihr Ehemann, der ebenfalls Urner ist, blieben nach dem Studium aus beruflichen Gründen in Zürich. Bis heute. Eine Rückkehr war zwar nicht ausgeschlossen. Cornelia Regli dachte, der Moment der Rückkehr sei spätestens dann, wenn sie und ihr Ehemann Kinder haben würden.
Das Ziel ist wirklich, dass wir Arbeitsplätze in den Kanton Uri bringen. Meiner Meinung nach ist das zentral.
Schliesslich trat aber das Gegenteil ein. «Das Netzwerk, die Freunde und das Kinderbetreuungsangebot: das finde ich hier sehr wertvoll.», sagt sie. Die Juristin ist damit in der grossen Mehrheit der Urner Akademikerinnen und Akademikern, die nicht mehr in die alte Heimat zurückkehrten.
Noch vor rund 20 Jahren hat der Kanton Uri beinahe alle seine Uni-Abgänger verloren. Heute seien es noch etwa die Hälfte, sagt Urban Camenzind, Volkswirtschaftsdirektor des Kanton Uri.
Laut Urban Camenzind ist die Arbeit trotzdem nicht abgeschlossen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen und ein starkes Bildungssystem für Urnerinnen und Urner könnten Abhilfe schaffen, meint er. Und: «Wir wollen ein Umfeld anbieten, welches den Kanton Uri für junge Familien mit Kindern attraktiv macht.» «Brain-Drain» bleibt aber eine Herausforderung, denn urbane Zentren sind in Sachen Jobs, Löhne und kulturellem Angebot den Rand- und Bergkantonen überlegen.