Maria Hiepler ist Hutmacherin aus Leidenschaft. Die 81-Jährige arbeitet seit 17 Jahren über das ordentliche Pensionsalter hinaus und betreibt weiterhin in Basel ihr eigenes Geschäft: «Ich habe ein schönes Handwerk. Ich habe einen kreativen Beruf. Ich habe viel Kontakt mit Menschen. Weshalb soll ich aufhören, wenn es mir so viel Spass macht?» Wie Maria Hiepler hält es aber nur eine Minderheit.
Weshalb soll ich aufhören, wenn es mir so viel Spass macht?
Heute liegt die Erwerbstätigenquote der 65- bis 69-Jährigen in der Schweiz bei 22 Prozent. Das ist fünf Prozent unter dem OECD-Schnitt.
Mirjam Suri, Projektleiterin BSS Volkswirtschaftliche Beratung, hat im Auftrag des Seco untersucht, wie die Erwerbstätigkeit über das Rentenalter hinaus erhöht werden könnte: «Nach den Erkenntnissen aus unserer Studie wäre es essenziell, dass ein Kulturwandel stattfindet. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten miteinander diskutieren, wann für jemanden der geeignete Zeitpunkt ist, um in Rente zu gehen. Das könnte gefördert werden, einerseits durch Sensibilisierung und andererseits durch die Aufhebung des fixen Referenzalters von 65 Jahren, das aktuell fest in unseren Köpfen verankert ist.»
Das Potenzial zur Steigerung der Erwerbstätigkeit beträgt laut der Studie « Erwerbstätigkeit über das ordentliche Rentenalter hinaus » zwischen 12'000 und 108'000 zusätzlichen Vollzeitstellen. Heute entspreche die Erwerbstätigkeit der 65- bis 74-Jährigen 74'000 Vollzeitstellen.
Mirjam Suri von BSS sagt: «Bei einer grosszügigen Ausgestaltung könnten steuerliche Erleichterungen substanzielle Anreize für eine weitere Erwerbstätigkeit schaffen, da Rentnerinnen und Rentner finanziell mehr profitieren würden. Das könnte ausgestaltet sein als eine teilweise oder gesamte Steuerbefreiung des Erwerbseinkommens oder aber eine Reduktion des Steuersatzes.» Gutverdienende würden stärker profitieren als Geringverdienende, die Wirkung wäre also nicht bei allen gleich.
Unbeabsichtigte Nebeneffekte
Die BSS-Studie weist auch auf Nebeneffekte hin: Wenn mehr Menschen im Rentenalter erwerbstätig seien, könnte das zu einem Verdrängungseffekt führen: Jüngere Leute könnten es schwieriger haben, in den Arbeitsmarkt einzusteigen oder nach einer Arbeitslosigkeit wieder eine Stelle zu finden.
Auch könnte es zu sogenannten Substitutionseffekten kommen: Wenn Arbeitsanreize für Menschen im Pensionsalter gesteigert würden, könnte das zu weniger Freiwilligenarbeit führen.
Bisher bieten erst wenige Arbeitgeber die Möglichkeit, länger zu arbeiten. Nicht so Maria Hiepler: «Ich selbst beschäftige eine Mitarbeiterin, die ist 69. Und die kann bei mir so lange arbeiten, wie ich den Laden habe.» Das Wissen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist viel wert. Und längst nicht alle wollen sich mit Mitte 60 zur Ruhe setzen.