Zum Inhalt springen

Brücken-Unglück in Italien Benetton verdiente Milliarden – jetzt folgt der Pranger

Der Benetton-Konzern scheffelt seit Jahren viel Geld mit gebührenpflichtigen Autobahnen. Nun fallen seine Gegner über ihn her.

«Der Bankomat der Benettons», hat eine italienische Zeitung heute getitelt. Sie weist damit auf die Verstrickungen der milliardenschweren Textil-Familie mit der Katastrophe in Genua hin. Mit dem Einsturz der Morandi- Brücke steht die Familie Benetton am Pranger. In den sozialen Medien ist ein regelrechter Shitstorm im Gang. Gar als Mörder («Assassini») wird die Familie beschimpft.

Gefundenes Fressen für politische Gegner

Drastische Töne schlagen auch die Populisten in Italien an. Das Unternehmen habe von den Milliardeneinnahmen aus dem Autobahngeschäft zu wenig in Unterhalt und Sicherheit investiert. Sie verlangen den Rücktritt des Managements. Wollen dem Unternehmen die Konzession für den Betrieb der Autobahnen entziehen. Hinzu soll eine Busse in der Höhe von 150 Millionen Euro kommen.

Notstand in Genua

Box aufklappen Box zuklappen

Die Regierung hat am Mittwoch den Notstand für die Hafenstadt verhängt und fünf Millionen Euro Nothilfe bereit gestellt. Das Dekret soll ermöglichen, «erste wichtige Massnahmen zu treffen, um dem Ausnahmezustand zu begegnen», erklärte Regierungschef Giuseppe Conte. Dazu gehöre, schnellstmöglich die Sicherheit in der betroffenen Region der Stadt zu garantieren und Betroffenen zu helfen. Der Notstand soll zwölf Monate gelten. Es soll auch ein Sonderbeauftragter für den Wiederaufbau benannt werden.

Doch so einfach können sich die Populisten wohl nicht aus der Verantwortung stehlen. Weil es just aus dieser politischen Ecke heftigen Widerstand gegen ein neues, milliardenteures Verkehrskonzept zur Entlastung der Strassen von Genua gab. «Man erzählt uns immer wieder das Märchen, dass die Ponte Morandi bald zusammenbricht», hatte sich an vorderster Front die 5-Sterne-Bewegung gewehrt. Das war 2013. Das «Märchen» ist gestern Realität geworden.

Zuerst Kleider – dann Autobahnen

Der Protest gegen Benetton indes ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Tatsächlich verdient die Familien-Holding über eine komplizierte Struktur kräftig mit am Betrieb der Autobahnen in Italien. Sie hält einen Anteil von 30 Prozent am Infrastrukturkonzern Atlantia, der seinerseits rund 90 Prozent an Autostrade per l'Italia besitzt. Dem Autobahnbetreiber also, zu dessen mehrere Tausend Kilometer umfassendem Strassennetz auch die eingestürzte Brücke in Genua gehört.

Das Geschäft mit den Autobahnen ist lukrativ. Rund zwei Drittel der 6 Milliarden Euro, die Atlantia für 2017 als Umsatz ausweist, stammt aus diesem Zweig. Letztes Jahr erwirtschaftete der Atlantia-Konzern einen Reingewinn von 1,4 Milliarden Euro. Ein neuer Rekord. Mit den steigenden Gewinnzahlen nahm auch die Dividende für die Benettons stetig zu.

Der Aufstieg der Benettons

Box aufklappen Box zuklappen
Benetton-Werbeplakat aus den 80er-Jahren mit zwei Pferden.
Legende: keystone

Zu Geld kamen die Benettons mit Textilien und Strickwaren, namentlich bunten Pullovern. Der Claim: «United Colors of Benetton». Es waren die vier Geschwister Lucianio, Gilberto, Giuliana und Carlo Benetton, die das Unternehmen 1965 gründeten.

Besonders in den 1980er Jahren war Benetton mit provokativer Werbung in aller Munde. Auf Plakaten waren etwa die blutverschmierten Kleider eines Soldaten zu sehen oder eine dunkelhäutige Frau, die ein hellhäutiges Kind stillte oder zwei kopulierende Pferde – ein Schimmel und ein Rappe.

Es war gegen Ende der 1990er Jahre, als die Familie damit begann, sich auf andere Geschäftsfelder vorzuwagen. In diese Zeit fällt auch die Beteiligung am Autobahngeschäft.

Kleider und Textilien machen hingegen heute nur noch einen Bruchteil des Geschäfts der Benettons aus. Per Ende Juni weist die Familien-Holding namens Edizione Beteiligungen im Wert von 12,1 Milliarden Euro aus. Fast die Hälfte davon im Bereich Infrastruktur, zu dem auch das Autobahn-Business gehört. Oder die 15-prozentige Beteiligung am Eurotunnel. Die Beteiligungen der Benettons erzielten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 12,1 Milliarden Euro und beschäftigten 67'000 Mitarbeitende.

Nichtsdestotrotz trägt die aktuelle Empörung einen schalen Beigeschmack. Benetton scheine ein idealer Sündenbock zu sein, sagt Italien-Korrespondent Philipp Zahn. Eine allseits bekannte Unternehmerfamilie, die gut vernetzt ist im alten politischen Italien, als Teil des Establishments, das die Koalition aus Lega und Cinquestelle am liebsten völlig entmachten möchte. Dass diese politischen Gegner eine solche Gelegenheit am Schopf packen, ist wohl fast zwingend.

Meistgelesene Artikel