Was ist passiert? Die Inflation in der Schweiz ist im Mai in den negativen Bereich gefallen. Man spricht von Deflation, dem Gegenteil der Inflation, einem Rückgang des Preisniveaus von Gütern und Dienstleistungen. Die Teuerung gegenüber dem Vorjahresmonat betrug laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) -0.1 Prozent.
Ist die Deflation überraschend? Nein. Die meisten von der Nachrichtenagentur AWP befragten Expertinnen und Experten hatten damit gerechnet. Denn die Inflation in der Schweiz ist seit Monaten auf dem Rückzug. Seit dem letzten September liegt sie unter 1 Prozent. In der Vergangenheit ist es in der Schweiz mehrfach zu einer Deflation gekommen. Die Entwicklung der Konsumentenpreise war zuletzt zwischen Februar 2020 und März 2021 während der Corona-Pandemie negativ.
Wie wirkt sich die Deflation auf die Kaufkraft aus? Grundsätzlich positiv. Eine Deflation senkt die Preise der konsumierten Produkte und Dienstleistungen, wodurch die reale Kaufkraft der Konsumenten steigt.
Ist das gut für die Wirtschaft? Nein. Wenn die Preise sinken, besteht die Gefahr, dass auch die Nachfrage sinkt. Denn sinkende Preise können die Konsumenten dazu veranlassen, ihre Ausgaben einzuschränken – in der Hoffnung, künftig von noch niedrigeren Preisen zu profitieren. Dies führt tendenziell dazu, dass aus einer deflationären Situation eine rezessive Situation entsteht. Daraus wiederum kann ein Rückgang der Beschäftigung, der Löhne und der Kaufkraft entstehen.
Gibt es auch Produkte, die teurer geworden sind? Der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) ist im Mai gegenüber dem Vormonat um 0.1 Prozent auf 107.6 Punkte gestiegen. Der Anstieg sei auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, unter anderem auf die höheren Wohnungsmieten, so das BFS. Auch gestiegen seien die Preise für Fruchtgemüse – Gemüse, das oberirdisch aus Blüten wächst – und für Steinobst. Die Preise im Luftverkehr sowie jene für Heizöl seien hingegen gesunken.
Haben wir nun Grund zur Sorge? Ökonomen sehen keinen Grund dafür. Sie verweisen darauf, dass die «deflationsverursachenden Güter» derzeit grösstenteils importiert werden. Die Teuerung könne deshalb zwar negativ werden, dies führe aber zu keiner besorgniserregenden Situation, meinte kürzlich etwa BAK-Economics-Ökonom Claude Maurer. Auch die Experten der ETH-Konjunkturforschungsstelle (KOF) verweisen auf die Rolle der Importgüter: «Die Binneninflation bleibt positiv, und solange dies der Fall ist, wird es keine breit abgestützte Deflation geben.»
Was ist mit den Mieten? In der Schweiz sind die Mieten seit 2008 an den Referenzzinssatz gekoppelt, der vierteljährlich vom Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) veröffentlicht wird. Dieser Zinssatz wird auf der Basis der ausstehenden Hypothekarforderungen der Schweizer Banken berechnet. Eine Senkung des Leitzinses führt zu einem Rückgang der Hypothekarzinsen und ebnet theoretisch den Weg für einen Rückgang der Mieten. Dieses System leidet jedoch an einer grossen Trägheit, da sich der Referenzzinssatz nur sehr langsam ändert.
Was ist mit den Ersparnissen? Ein tiefer oder gar negativer Leitzins führt auch zu einer sehr geringen Verzinsung von Bankguthaben. Das ist gewollt. Denn Privatpersonen sollen investieren und konsumieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Auswirkungen auf die Vermögen sind derweil vielfältig.