Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann kritisiert das neue Vertragspaket mit der EU. Wirtschaftlich bringe es nichts, politisch sei es ein grosser Fehler. Er ist überzeugt: Die Vorlage wird vor dem Volk scheitern.
SRF News: Sie sind Professor für Wirtschaftsgeschichte und könnten die EU-Verträge neutral analysieren. Sie positionieren sich aber klar dagegen. Wieso?
Tobias Straumann: Für mich ist klar: Mittelfristig schaden die EU-Verträge der Schweiz. Darum äussere ich mich.
Ihr Hauptargument ist der Verlust von Souveränität. Sie sagen, unsere demokratischen Rechte werden abgebaut. Wo genau verlieren wir demokratische Kontrolle?
Viele Gesetze werden künftig gar nicht mehr ins Parlament kommen. Ein sogenannter gemischter Ausschuss, in dem die EU und die Schweiz vertreten sind, entscheidet, ob eine Gesetzesänderung direkt übernommen wird. Ein grosser Teil davon läuft automatisch ab, ohne dass wir es überhaupt bemerken. Wir können zwar bei grossen Fragen Nein sagen, aber im Vertrag ist bereits vorgesehen, dass wir dann bestraft werden.
Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob ich mitbestimme oder nur mitreden darf.
Der EU-Botschafter in der Schweiz sagt, die Schweiz gewinne an Mitsprache, weil sie künftig am Tisch sitze.
Das empört mich richtig. Mitsprache ist nicht Mitbestimmung. Das als grosses neues Recht zu verkaufen, ist ein Witz. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob ich mitbestimme oder nur mitreden darf.
Sie sehen auch keine wirtschaftlichen Vorteile. Befürworter argumentieren, ohne die Verträge drohe Bürokratie, weil Schweizer Produkte in der EU nicht mehr automatisch anerkannt werden.
Ich habe Firmen gefragt, wie schlimm das wäre. Viele sagen: «Wir lassen unsere Produkte sowieso schon in der EU zertifizieren, weil es billiger ist.» Für diese exportorientierten Firmen ändert sich also gar nichts. Der Medizintechnikverband hat zudem ausgerechnet, dass die Kosten für eine doppelte Zertifizierung nur 0.1 Prozent des Exporterlöses ausmachen. Das ist extrem wenig.
Eine Studie im Auftrag des Bundes ist zum Schluss gekommen, dass ein Wegfall der Bilateralen zu deutlich schwächerem Wirtschaftswachstum führen würde. Überzeugt Sie das nicht?
Ich kenne die Studie. Sie rechnet auf 20 Jahre. Selbst im Extremszenario, bei dem alle bilateralen Verträge wegfallen, würde unser Pro-Kopf-Einkommen in 20 Jahren nur um 1.65 Prozent weniger stark wachsen. Statt um 35 Prozent wachsen wir dann eben um 33.4 Prozent. Das merkt kein Mensch. Das ist praktisch nichts.
Wenn Sie diese Verträge unterschreiben, kommt auf sie die grösste Regulierungswelle der Schweizer Geschichte zu.
Die grossen Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse oder Swissmem warnen vor massiven Nachteilen. Liegen die alle falsch?
Ihre Haltung ist für mich sehr widersprüchlich. Dieselben Verbände erzählen mir ständig, wie schlimm die Regulierung in der Schweiz sei. Wenn Sie diese Verträge unterschreiben, kommt auf sie die grösste Regulierungswelle der Schweizer Geschichte zu. Europa ist überreguliert.
Die Befürworter sagen, ohne die neuen Verträge würden die bestehenden langsam sterben.
Das ist eine Behauptung. Die Frage ist: Reicht die Angst vor möglichen Nachteilen, um bei einer so grundlegenden Frage einfach nachzugeben?
Das Gespräch führte David Karasek.