- Die Schweizer Wirtschaft hat sich vom Corona-Einbruch rasch erholt und wächst wieder markant. Im laufenden Jahr dürfte das Bruttoinlandprodukt gemäss Prognosen um mehr als drei Prozent steigen.
- Bei den Löhnen zeige sich dieser kräftige Aufschwung aber nicht überall, kritisiert der Arbeitnehmenden-Dachverband Travailsuisse. Einige Firmen seien nicht einmal bereit, die Teuerung auszugleichen.
- Der Arbeitgeberverband widerspricht: Noch immer sei die wirtschaftliche Lage mit Unsicherheiten behaftet und Unternehmen seien deswegen zurückhaltend mit Lohnerhöhungen.
Die Lohnverhandlungen seien hart gewesen, sagt Marco Geu, Zentralsekretär der zu Travailsuisse gehörenden Gewerkschaft Syna – mit 61'000 Mitgliedern die zweitgrösste Gewerkschaft der Schweiz. «Es war eine durchzogene Lohnrunde, ein mittelguter Jahrgang. Es hätte schlechter sein können. Aber es hätte wesentlich besser sein müssen», bilanziert Geu.
Die Branchen, die wirklich gelitten haben in der Krise, wurden durch Staatsinterventionen maximal geschont.
Zufrieden ist Geu mit der Lohnentwicklung im Detailhandel. Mit der Migros habe nun auch der letzte Grossverteiler seinen Mindestlohn auf über 4000 Franken erhöht. Mehr erhofft hat er sich hingegen für die Angestellten im Gesundheitswesen und auf dem Bau. Die neuerliche Nullrunde trotz anhaltenden Baubooms sei nicht nachvollziehbar.
Generell stelle er fest, dass viele Unternehmen die steigenden Gewinne nicht an die Angestellten weitergeben würden. «Die Branchen, die wirklich gelitten haben in der Krise, wurden durch Staatsinterventionen maximal geschont.» Der Gewerkschafter erinnert an die Ausdehnung der Kurzarbeitsentschädigung, mit der der Staat den Arbeitgebern zu Hilfe geeilt sei. «Vor dem Hintergrund, dass der Steuerzahler hier korrigierend eingegriffen hat, müsste man erwarten, dass diese Branchen etwas kulanter sind.»
Arbeitgeberverband widerspricht
Knausrige Arbeitgeber? Nein, entgegnet Simon Wey, Chefökonom des Arbeitgeberverbands. «Für die Unternehmen ist es ein Fahren auf Sicht: Es gibt viele Unsicherheiten und Lieferengpässe. Deswegen machen die Unternehmen nicht zu grosse Schritte. Sie riskieren so nicht, keine finanziellen Mittel mehr zu haben, wenn es wieder kritisch wird.»
Die Firmen sind zurückhaltender, wenn es aufwärts geht. Sie sind aber auch zurückhaltend bei Lohnsenkungen, wenn es abwärts geht.
Dass die Löhne trotz wirtschaftlicher Erholung nicht stärker wachsen, überrasche ihn nicht, sagt Arbeitsmarktexperte Michael Siegenthaler von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF). Man müsse aber das gesamte Bild betrachten: «Die Firmen sind zurückhaltender, wenn es aufwärts geht. Sie sind aber auch zurückhaltend bei Lohnsenkungen, wenn es abwärts geht. Die Löhne gehen deutlich weniger zurück als etwa die Gewinne oder die Wertschöpfung auf der Firmenseite.»
Dennoch: Auch Arbeitsmarktexperte beurteilt die Lohnrunde als durchzogen. Aber weniger, weil Arbeitgeber die Gewinne nicht weitergeben würden, sondern vielmehr, weil die Teuerung anziehe, die Löhne aber nicht mithalten könnten: «Für den durchschnittlichen Arbeitnehmenden dürfte die Teuerung das Lohnwachstum ziemlich genau nominal ausgleichen.» Entsprechend sehe es nicht gut aus für viele Lohnbezüger, resümiert der Arbeitsmarkt-Experte.