Worum geht es? «Great Resignation» oder «Big Quit» heisst das Phänomen in den USA. Frei übersetzt bedeutet das «grosse Kündigungswelle». Mehrere Millionen Menschen pro Monat haben gegen Ende der Corona-Krise ihre Stelle aufgegeben. Bis heute hält diese Kündigungswelle an.
Was waren Gründe für die Kündigungswelle? Umfragen und Analysen aus den USA zeigen, dass es ein Mix von Motiven war. Arbeitnehmende wollten besser bezahlt werden und flexibler arbeiten. Auch die Suche nach Sinnhaftigkeit und Lebensqualität spielte eine Rolle. Einige machten sich selbstständig oder trieben ihre Karriere voran. Es bestand und besteht der Wunsch nach mehr Arbeitsqualität. Auch der gute Arbeitsmarkt spielte ihnen in die Hände: Im Wiederaufschwung nach der Pandemie sank die Arbeitslosigkeit markant. Bis heute herrscht Vollbeschäftigung in den USA.
Wie ist die Lage in der Schweiz? Der Schweizer Arbeitsmarkt ist angespannt. Von «Great Resignation» kann aber nicht die Rede sein. «Wir nennen das Fachkräftemangel. Wir hatten in der Schweiz keine Kündigungswelle», sagt Marco Salvi. Der Ökonom ist Arbeitsmarktexperte beim liberalen Thinktank Avenir Suisse.
Was sind die Gründe für den Fachkräftemangel? Marco Salvi vermutet, dass der Mangel an der starken Nachfrage der Unternehmen liege; und nicht so sehr am Verhalten der Erwerbstätigen in der Schweiz. «Es ist nicht so, dass sie den Arbeitsmarkt verlassen hätten.»
Welche Rolle spielen die Bedürfnisse der Arbeitnehmer? In der Schweiz wie auch in den USA möchte man bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Das war aber schon immer der Fall. «In einem so angespannten Arbeitsmarkt gibt es mehr Spielraum für Lohnverbesserungen, aber auch für das Arbeitsverhältnis. Man verhandelt nicht nur über Löhne, sondern auch über Flexibilität oder Homeoffice beispielsweise», sagt der Arbeitsmarktexperte. Das sei ein normales Phänomen in so einer angespannten Lage. «Im Moment ist die Verhandlungsmacht ein bisschen zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerückt, auch wegen der starken Konjunktur.»
Welchen Einfluss hatte die Pandemie? Die Corona-Pandemie habe die aktuelle Hochkonjunktur verstärkt, sagt Marco Salvi. «Indem die Unternehmen lange etwas weniger Leute eingestellt haben und jetzt einen Nachholbedarf haben. Es gab vielleicht auch einen Effekt durch die expansive Geldpolitik oder die starke Mitfinanzierung des Staates.» Das habe die Konjunktur angefeuert. «In dem Sinne ist es eher ein Effekt der Pandemie als eine Veränderung des Verhaltens der Arbeitnehmerinnen und -nehmer.»
Wie geht es weiter? Neben konjunkturellen Gründen gebe es auch strukturelle, sagt Ökonom Salvi. «Wir haben vor allem einen demografischen Wandel. Das heisst, die Arbeitskräfte werden in der Schweiz eher rar.» Etwa zur Hälfte habe man das kompensieren können mit einer Erhöhung der Arbeitspensen oder der Erwerbsquote – vor allem durch ältere Arbeitnehmer, die im Arbeitsmarkt bleiben. «Aber das wird wohl nicht reichen. Die Unternehmen haben noch mehr Arbeit, die zu erledigen wäre, und das wird uns auch in den nächsten Jahren begleiten.»