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Individuelle Lohnerhöhungen «Die Freude an der Arbeit selbst geht dadurch verloren»

Der Arbeitnehmerdachverband Travailsuisse kritisiert die aktuelle Lohnrunde. Während noch vor zehn Jahren zwei Drittel der Lohnerhöhungen als generelle Massnahmen allen Arbeitnehmenden zugutegekommen seien, liege heute der Fokus zu stark auf individuellen Massnahmen. Für den Ökonomen Bruno S. Frey von der Uni Basel sind individuelle Lohnerhöhungen sogar gefährlich.

Bruno S. Frey

Wirtschaftswissenschaftler und Glücksforscher

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Der Basler Ökonom war Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Zürich. Seit 2015 ist er ständiger Gastprofessor an der Universität Basel. Er ist zudem Forschungsdirektor des Centre for Research in Economics, Management and the Arts in Zürich. Frey ist auch bekannt für seine Glücksforschung.

SRF News: Was halten Sie von individuellen Lohnerhöhungen?

Bruno S. Frey: Sie können gefährlich sein, weil sie meistens an Leistungen geknüpft sind. Diese muss man quantitativ erfassen und das geht oft schief.

Warum?

Weil man nicht alles mit Leistungsindikatoren erfassen kann. Ein Beispiel: Wenn man gegenüber Kolleginnen und Kollegen besonders freundlich ist und ihnen hilft, wird das meistens nicht erfasst. Meistens wird nur das erfasst, was in die üblichen Leistungskriterien passt.

Das ist aus Ihrer Sicht also ungerecht?

Es ist nicht so sehr ungerecht. Es ist ineffizient, weil die Leute beginnen, sich ausschliesslich auf diese Leistungsindikatoren zu konzentrieren. Sie schauen genau, welche Leistung die Vorgesetzten sehen wollen, ganz egal, ob das jetzt für die Firma oder für eine Organisation wichtig oder sinnvoll ist.

Wenn man gegenüber Kollegen besonders freundlich ist und ihnen hilft, wird das nicht erfasst.

Sie sagten in einem früheren Interview, das System des Leistungslohns entspringe einem kleinkarierten Denken. Wie meinen Sie das?

Das sage ich immer noch. Man sollte den Menschen nicht nur dauernd vorschreiben, was sie zu tun haben. Man muss ihnen auch ein bisschen Vertrauen entgegenbringen. Denn sie sehen viele Dinge, die die Vorgesetzten oder die Leistungsindikatoren gar nicht sehen können oder sehen wollen.

Viele Unternehmer sagen aber, wir brauchen den Leistungslohn. Wer mehr leistet, der soll auch mehr verdienen.

Das klingt immer sehr schön, aber die negativen Auswirkungen werden nicht gesehen. Die Freude an der Arbeit selbst geht dadurch verloren. Die Leute konzentrieren sich nur noch darauf, was der Leistungsindikator ihnen vorschreibt. Dabei erzielen meisten Leute durchaus Befriedigung, wenn sie ihre Arbeit selbst gestalten können und dafür auch Anerkennung erhalten.

Das heisst, ein leistungsabhängiger Lohn ist sogar kontraproduktiv?

Ja, denn oft wird der Leistungsindikator durch Manager beeinflusst oder manipuliert, um besser dazustehen. Etwa bei Gewinnen, die überhöht ausgewiesen werden. Ein anderer Aspekt sind interne Konflikte. Man schaut immer nur, was der andere kriegt, anstatt sich auf die Arbeit zu konzentrieren.

Was ist denn für Sie ein gutes Lohnsystem?

Man soll die Leute anständig und gut bezahlen. Das ist ganz wichtig. Aber man sollte das möglichst fix machen. Dann kann man sagen, jetzt erfüllen Sie Ihre Aufgabe so gut, wie Sie es selbst sehen. Und am Ende des Jahres, wenn eine Firma gut abgeschnitten hat, wenn die Gewinne gross sind, kann man den Mitarbeitenden durchaus nachträglich einen Gewinnanteil ausschütten.

Oft wird der Leistungsindikator durch Manager beeinflusst oder manipuliert, um besser dazustehen.

Hört man Ihre Gedanken in der Wirtschaft gerne?

Schwer zu sagen. Ich hoffe natürlich, dass einige Leute diese Ansicht teilen. In Bezug auf Leistungslöhne hat es sich langsam herumgesprochen, dass Margit Osterloh (Ökonomin an der Universität Zürich, Anm. d. Red.) und ich uns seit langem gegen diese übertriebene Tendenz zum Leistungslohn gewendet haben.

Glauben Sie, dass der Leistungslohn wieder an Bedeutung verliert?

Ja, und ich sehe auch schon einige Anzeichen. Diese ganz naive Vertretung eines Leistungslohns ist glaube ich in der Praxis inzwischen überholt.

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.

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