Während der Euro-Krise versprach die Europäische Zentralbank (EZB), den Euro zu retten und stabil zu halten. Dafür senkte sie den Leitzins. Doch aus dieser Rettungsaktion wurde ein Dauerzustand. Wie kommt man aus diesen tiefen Zinsen wieder raus?
Der deutsche Ökonom Peter Bofinger sieht als eine Möglichkeit Investitionen der öffentlichen Hand.
SRF News: Welches ist der Weg aus dieser Tiefzinspolitik?
Peter Bofinger: Wir haben das Problem, dass die Fiskalpolitik gerade in Deutschland Überschüsse macht und so eher bremst. Wenn die Fiskalpolitik jetzt «Gas geben» würde, müsste die Notenbank auch weniger im negativen Bereich bleiben. In Deutschland gibt es grosse Überschüsse [Steuereinnahmen] und ich könnte mir vorstellen, jetzt Investitionen zu machen in die Infrastruktur, in die Förderung im Bereich erneuerbare Technologien, Elektromobilität oder Wasserstoffwirtschaft. Wenn die Fiskalpolitik jetzt reagieren würde, läge die ganze Last der Konjunkturstimulierung nicht mehr allein bei der Notenbank.
Wäre nicht jetzt – wenn die Wirtschaft noch boomt – der richtige Zeitpunkt, sich von dieser Zinspolitik zu verabschieden?
Ich glaube, jetzt wäre der falsche Zeitpunkt, denn die Wirtschaft boomt ja schon lange nicht mehr wirklich. Gerade in Deutschland deutet die Industrieproduktion stark nach unten. Wahrscheinlich wird kommende Woche eine negative Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts für das zweite Quartal gemeldet. Da wäre es völlig kontraindiziert, wenn die EZB jetzt anfangen würde die Zinsen anzuheben.
Trotz den niedrigen Zinsen haben wir nicht den Lehrbuch-Effekt bekommen, nämlich eine ganz kräftige Inflation.
Das bedeutet, diese Zinspolitik wird noch lange so weitergehen.
Ja, und die Frage ist, was die tiefer liegenden Ursachen dafür sind. Denn mit diesen seit Jahren niedrigen Zinsen haben wir nicht den Effekt bekommen, der in den Lehrbüchern steht, nämlich eine ganz kräftige Inflation.
Und wie erklären Sie sich das?
Wir haben seit zwei Jahrzehnten eine weltwirtschaftliche Entwicklung, bei der die Einkommensverteilung sich zunehmend zugunsten der sehr hohen Einkommen entwickelt und zugunsten von Unternehmen, die eine starke Monopolstellung haben und riesige Gewinne machen.
Das Problem sind nicht die hohen Gewinne, sondern dass dieses Geld nicht mehr investiert wird.
Das Problem sind nicht diese hohen Gewinne, sondern dass dieses Geld nicht mehr investiert wird. Es wird dem Wirtschaftskreislauf entzogen und hat so bremsende Effekte auf die Wirtschaftsentwicklung. Das hat die Notenbanken aktiv werden lassen, die versuchen, mit tiefen Zinsen dieses gehortete Geld unattraktiv zu machen, damit es wieder investiert wird.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben denn die Notenbanken noch, falls eine weitere Krise kommt?
Also wir sind da ziemlich am Ende der Fahnenstange. Sehr viel weiter ins Negative werden die Notenbanken nicht gehen können, denn sonst werden die Bankkunden anfangen, ihr Geld abzuziehen und es in bar zu horten. Grössere Impulse könnte darum die Finanzpolitik setzen. In Deutschland wäre eine Möglichkeit, Löhne zu erhöhen und den Mindestlohn kräftig anzuheben.
Ist die Geldpolitik der Notenbanken am Ende?
So negativ würde ich das nicht sehen. Diese Geldpolitik sorgt dafür, dass wir in einem ganz schwierigen globalen Umfeld einigermassen ein Wirtschaftswachstum haben. Die EZB hat es geschafft, dass der Euroraum wieder Wachstum bekommen hat und die Arbeitslosigkeit unter das Niveau zu Beginn der Eurokrise gefallen ist.
Der Ausgang aus dieser Politik muss kommen von Investitionen der öffentlichen Hand.
Aber da rauszukommen wird schwierig?
Ja, und ich glaube, der Ausgang aus dieser Politik muss kommen von Investitionen der öffentlichen Hand – der Schlüssel liegt bei den Finanzpolitikern.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.