Der peruanische Bauer und Bergführer Saúl Luciano Lliuya beobachtete, dass der Stausee oberhalb seines Hauses sich immer mehr mit Gletscherschmelzwasser füllt. Er fürchtete nicht nur um sein Hab und Gut, sondern auch um das Leben der 50'000 Menschen, die unterhalb des Stausees in der Stadt Huaraz leben. Mit der Unterstützung der deutschen Nichtregierungsorganisation Germanwatch klagte er gegen einen der grössten Klimasünder Europas – den Energiekonzern RWE – und forderte, dass sich dieser an Schutzmassnahmen gegen die drohende Flut beteiligt. Das war vor zehn Jahren.
Der Fall hat für viel Aufsehen gesorgt. Nun hat das Oberlandesgericht im nordrhein-westfälischen Hamm die Klage abgewiesen. Wirtschaftsredaktor Klaus Ammann beantwortet die wichtigsten Fragen zum Urteil.
Wie begründet das Gericht die Abweisung der Klage?
Die Richter sind zum Schluss gekommen: Das Risiko, dass die Gletscherflut das Haus des peruanischen Bauern und Bergführers ernsthaft bedrohe, sei zu wenig hoch. Konkret bezeichnet das Gericht die Wahrscheinlichkeit, dass das Wasser das Haus des Klägers innerhalb der nächsten 30 Jahre erreichen wird, bei nur etwa 1 Prozent. In diesem Punkt sind die Gutachter des Gerichts, die extra nach Peru gereist sind, zu einem ganz anderen Schluss gekommen als andere Klimawissenschaftler, die die Gefahr als sehr real bezeichnet haben.
Warum sehen sich die Klägerinnen und Kläger trotzdem als Sieger?
Das Gericht macht einen grossen Unterschied zwischen diesem konkreten Fall und der grundsätzlichen Haftung. Es hält ausführlich und eindeutig fest, dass Unternehmen, die viel klimaschädliches CO₂ ausstossen, nach deutschem Recht für Klimarisiken haftbar gemacht werden können. Diese gelte auch dann, wenn die Risiken weit weg – in diesem Fall in Peru – auftreten. Dass das Gericht dies so deutlich festhält, sei neu und enorm wichtig, betonen die Kläger rund um den peruanischen Bauern und feiern das Urteil als grossen Erfolg, obschon der Peruaner im konkreten Fall nun kein Geld von RWE erhalten wird.
Könnte künftig jeder Besitzer eines Diesel- oder Benzinautos verklagt werden?
Nein. Es war ein Argument des beklagten RWE-Konzerns, dass gemäss der Logik der Kläger jeder Autofahrer belangt werden könnte. Das Gericht hält jedoch ausdrücklich fest, dass dem nicht so sei. Die «Verursachungsbeiträge», sprich der Einfluss auf den Klimawandel einer einzelnen Person, sei derart geringfügig, dass daraus keine Haftung abgeleitet werden könne.
Was bedeutet das Urteil für andere Klimaklagen?
Die rechtlichen Voraussetzungen sind in vielen Ländern ähnlich wie in Deutschland. Es ist also sehr gut möglich, dass sich Kläger, aber auch Gerichte in den anderen rund sechzig laufenden und neuen ähnlichen Verfahren auf das deutsche Urteil berufen werden. Es ist zudem sehr wahrscheinlich, dass der Druck auf Unternehmen, die mit Kohle, Öl und Gas Geld verdienen, steigen wird, weil mit diesem Geschäft nun offensichtlich rechtliche Risiken verbunden sind. Insgesamt wäre es wohl im Sinn sowohl der Opfer des Klimawandels als auch der Verursacher, wenn die Politik möglichst alle grossen Klimasünder nach den gleichen Grundsätzen zur Kasse bitten würde, und das Geld für den Schutz vor den Folgen des Klimawandels und die Behebung der Schäden einsetzen würde.