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Kritik an heutiger Geldpolitik Ist das System Notenbank am Ende?

Negativzinsen haben in der Krise Schlimmeres verhindert. Doch sie haben am Kapitalmarkt zu bedrohlichen Blasen geführt.

Immer mehr Ökonomen glauben: Die Politik des billigen Geldes funktioniert nicht mehr. Das sagt etwa der Volkswirt Martin Jetzer. Er verfolgt die Geldpolitik seit 50 Jahren, lange Zeit als Chefökonom der HSBC Guyer Zeller-Bank. Nicht die Notenbanken per se seien am Ende, aber ihre Politik. «Die starke Stimulierung richtet mehr Schaden an, als dass sie nützt», sagt er.

Weitere Zinssenkungen bringen nichts mehr, glaubt Jetzer. Sie führen nur zu immer stärkeren Nebenwirkungen. Diese sind bekannt: Eine gewaltige Umverteilung von Sparern zu Schuldnern mit Schuldenbergen, wohin das Auge reicht; Blasen hüben wie drüben, am Aktien- und Immobilienmarkt – und jüngst eine nie zuvor beobachtete Blase bei den Anleihen.

Sie können dieses Spiel mit dem billigen Geld nicht endlos spielen
Autor: Christoph Schenk Anlagechef Zürcher Kantonalbank

Deshalb sieht auch der Anlagechef der Zürcher Kantonalbank (ZKB), Christoph Schenk, die Notenbankpolitik in einer Sackgasse. «Sie können dieses Spiel mit dem billigen Geld nicht endlos spielen. Irgendwann verpufft das. Die Zentralbanken wurden nicht dafür gemacht.»

Zwar sind sich die meisten Ökonomen einig, dass die Politik des billigen Geldes in der Krise richtig gewesen ist. Doch gerade Europa habe es verpasst, in den Boomjahren die Geldpolitik zu normalisieren und die Zinsen wieder anzuheben.

Von der Politik missbraucht

Wieso nicht, sei klar: Die Notenbanken würden heute von der Politik missbraucht, so Jetzer. «Die schönen langen Jahre der Unabhängigkeit sind vorbei. Sie stehen unter stärkstem politischen Einfluss – sogar in den USA.» Unter dem Druck, den Regierungen zu helfen, ihre Schulden zu finanzieren.

Denn die Staatsschulden sind dies- und jenseits des Atlantiks seit der Finanzkrise explodiert. Nicht nur, aber auch, weil Geld so billig ist. «Früher hatten die Notenbanken die Aufgabe, für Geldwertstabilität zu sorgen. Heute müssen sie die stark verschuldeten – teils überschuldeten – Staaten am Leben erhalten», erklärt Ökonom Pirmin Hotz vom Vermögensverwalter Hotz und Partner.

Zombie-Firmen verzerren Wettbewerb

Das billige Geld hält nicht nur überschuldete Staaten am Leben, sondern auch Firmen, die im Grunde nicht überlebensfähig sind. Auch sie haben gigantische Schuldenberge angehäuft – dank Nullzinsen bezahlbar. Diese Zombie-Firmen verzerren den Wettbewerb und verhindern, dass gesunde Firmen die Preise anheben können.

Wie es weiter geht, kann niemand sagen. Hotz hat die Hoffnung auf eine Normalisierung nicht ganz aufgegeben. Vielleicht kehre die Inflation doch irgendwann zurück und zwinge die Notenbanken, die Zinsen anzuheben.

Wahrscheinlicher aber ist es, dass die Investoren das Vertrauen in die Notenbanken verlieren und sich von maroden Staatsanleihen trennen. Weil sie nicht mehr glauben, dass die Schulden zurückbezahlt werden – so wie in der Eurokrise.

Goldbarren
Legende: Erste Anzeichen der Skepsis: Anleger flüchten sich in den historisch sichersten Wert – Gold. Keystone

Passiert das, steigen die Zinsen am Markt, ohne dass die Notenbanken die Leitzinsen anheben. Dann platzen auch die ersten Blasen. Erste Anzeichen, dass Investoren den Notenbanken nicht mehr trauen, seien da, sagt Chefökonom Jetzer. Ein Signal sei der massiv steigende Goldpreis: «Anleger flüchten in die sichersten Werte.»

ZKB-Anlagechef Schenk glaubt, dass am ehesten eine Rezession die Notenbanken wieder auf den Weg der Tugend bringt – «damit sich diese Welt wieder gradstellen kann. Politisch will das niemand verantworten, aber so weitergehen kann es nicht.» Vielleicht kann er seine Theorie bald testen: Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist deutlich gestiegen.

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