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Mitten in der Corona-Krise Trotz Kurzarbeit Dividenden ausschütten – darf man das?

Ob eine Firma, die Kurzarbeit beantragt hat, Aktionäre am Gewinn beteiligen soll, ist eine rechtliche, wirtschaftliche, aber auch moralische Frage.

Autoneum und Feintool sind zwei von vielen Schweizer Industrieunternehmen, die entschieden haben: Dieses Jahr gibt es keine Dividende. Zu schwerwiegend sind die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Das Geld soll stattdessen im Unternehmen bleiben.

TX Group argumentiert mit gutem Geschäftsjahr

Anders die TX Group: Zu ihr gehören unter anderem «20 Minuten» und die Zeitung «Tages-Anzeiger». Sie hat an ihrer Generalversammlung heute entschieden, 37 Millionen Franken an ihre Aktionäre auszuzahlen.

Das Unternehmen begründet den Schritt folgendermassen: «Die Dividenden betreffen das Geschäftsjahr 2019 und haben deshalb keinen direkten Zusammenhang mit Covid-19 und dem laufenden Geschäftsjahr, für welches aller Voraussicht nach auch keine Dividende ausbezahlt werden wird.»

Wenn man bei Beantragung von Kurzarbeit auch Gewinne ausschüttet, dann ist das eine moralische Frage, die ich nicht beantworten kann.
Autor: Eric Scheidegger Seco

Ein Vorgehen, das die Mediengewerkschaft Syndicom, die auch Aktionärin der TX Group ist, im Vorfeld der GV kritisiert hat. Stephanie Vonarburg, Vizepräsidentin von Syndicom, sagt: «Auch die TX Group bekommt diese Krise zu spüren. Die Inserate und Werbegelder gehen drastisch zurück, sind schon zurückgegangen. Es ist nicht absehbar, dass das bald ändert. Darum braucht das Unternehmen nun dringend mehr Finanzen.» Der Appell blieb ungehört.

Jungfraubahnen beantragen auch Kurzarbeit

Bemerkenswert ist bei der TX Group die Tatsache, dass das Unternehmen kürzlich für alle seine 3700 Angestellten Kurzarbeit beantragt hat – und damit beim Staat um Unterstützung bittet. Eric Scheidegger, stellvertretender Direktor des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), sagt dazu: «Wenn man bei Beantragung von Kurzarbeit auch Gewinne ausschüttet, dann ist das eine moralische Frage, die ich nicht beantworten kann.»

Die TX-Group steht mit diesem Vorgehen – Dividenden ausschütten und gleichzeitig Kurzarbeit beantragen – nicht alleine da. Auch die Jungfraubahnen etwa handhaben es so. Auf die Anfrage von SRF, ob die Unternehmen deswegen keine Bedenken hätten, haben beide Firmen nicht geantwortet. Das Vorgehen ist moralisch zumindest fragwürdig.

Rechtsprofessor erinnert an die Verantwortung

Aber auch rechtlich kann ein solcher Schritt heikel sein, sagt Rechtsprofessor Peter V. Kunz von der Universität Bern: «Eine Dividende kann nicht einfach ausgeschüttet werden, wenn das letzte Jahr gut gewesen ist, sondern der Verwaltungsrat muss in erster Linie die Finanzlage von heute und der Zukunft anschauen.» Und: Der Verwaltungsrat ist haftbar für seine Entscheide.

Eine Dividende kann nicht einfach ausgeschüttet werden, wenn das letzte Jahr gut gewesen ist, sondern der Verwaltungsrat muss in erster Linie die Finanzlage von heute und der Zukunft anschauen.
Autor: Peter V. Kunz Professor

Dazu gehöre auch, ob eine Dividende zu verantworten sei oder nicht, so Kunz: «Seine Treu- und Sorgfaltspflichten gegenüber der Gesellschaft sagen, er müsse an die Gesellschaft denken, und diese umfasst mehr als nur die Aktionäre, sie umfasst auch die Arbeitnehmer und die Gläubiger.»

In den kommenden Wochen fallen Entscheide

Viele Verwaltungsräte müssen sich jetzt mit diesen Fragen beschäftigen: Ist es verantwortungsvoll, in der jetzigen Situation eine Dividende auszuschütten – oder ist es doch besser, das Geld in der Firma zu belassen?

Viele haben sich für einen Verzicht entschieden, aber noch viel mehr halten an einer Dividende fest oder erhöhen gar noch die Ausschüttungen an ihre Aktionäre wegen eines erfolgreichen Geschäftsjahres 2019. Das zumindest zeigt eine Durchsicht der anstehenden Generalversammlungen.

Echo der Zeit, 03.04.2020, 18 Uhr

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