Gemäss dem neuen Koalitionsvertrag in Deutschland soll das Land grüner, innovativer, digitaler und sozialer werden. Was bedeutet dieser Vertrag der künftigen deutschen Regierung aus wirtschaftlicher Sicht? Ökonom Klaus Wellershoff geht auf diese Fragen ein.
SRF News: Welche Handschrift trägt die Wirtschaftspolitik in diesem Koalitionsvertrag?
Klaus Wellershoff: Erstaunlich viel Staat. Dadurch, dass wir eine sozialdemokratische, eine grüne und eine liberale Partei dabeihaben, hätte man eine gewisse Bremse erwarten können, was das Thema starker Staat angeht. Aber der Koalitionsvertrag strotzt vor Staatseingriffen.
Verheisst dieser Koalitionsvertrag für die deutsche Wirtschaft grosse Veränderungen?
Ja. Er ist zum Beispiel ein klares Bekenntnis zur Industriepolitik. Im Koalitionsvertrag ist die Rede davon, dass man bestimmte Technologien, zum Beispiel Wasserstoff oder die Batterieerzeugung und die Halbleiterindustrie fördern möchte.
Immer wieder ist von ‹Anreize schaffen› die Rede. Das heisst nichts anderes, als Subventionen zu verteilen.
Man möchte Spitzenreiter bei der Elektromobilität, in der maritimen Wirtschaft und bei der Luft- und Raumfahrt werden. Es ist ein recht detailliertes Industrieprofil, das staatlich gefördert werden soll. Immer wieder ist von «Anreize schaffen» die Rede. Das heisst nichts anderes, als Subventionen zu verteilen.
Das kennt Deutschland so nicht. Früher war das Land eher auf eine allgemeine Wirtschaftsfreiheit getrimmt. So explizit zu sagen, das sind die Technologien der Zukunft und die fördern wir – das ist neu und das wird sehr viel Impetus bekommen, sehr viel Kraft. Dies liegt am starken Willen aller Beteiligten, etwas gegen den Klimawandel zu machen.
Sie sehen eine neue Ära deutscher Wirtschaftspolitik?
Ja, mit allen Sorgen, die man haben muss. Denn wir haben kein historisches Beispiel, dass dies jemals sonderlich gut funktioniert hat. Viele Mittel in so etwas hineinzustecken, ist in der Regel eher ineffizient. Insbesondere die von den Liberalen versprochene Technologieoffenheit der Klimawandelspolitik zum Beispiel scheint mir hier so halb beerdigt worden zu sein.
Die Wirtschaft soll grüner, digitaler, innovativer und auch noch sozialer werden. Passt das alles unter einen Hut?
Es wird versucht, Aufbruchstimmung zu erzeugen, und zwar dadurch, dass man grosse Ziele benennt. Was schwieriger ist: Bei den neuen Themen kommt man nicht über diese Absichtserklärung hinaus. Und bei den konkreten Massnahmen taucht gar Widersprüchliches auf. Explizit wird davon geredet, dass es eine Energiewende ohne Abbau ökologischer Schutzstandards braucht. Gleichzeitig möchte man die Bewilligungsverfahren für Infrastrukturprojekte für Stromleitungen zum Beispiel massiv beschleunigen. Wir alle wissen, dass der Hauptbremsfaktor in diesen Projekten jeweils ökologische Interessengruppen gewesen sind, die zu Recht oder zu Unrecht geklagt haben und das über alle Instanzen gezogen hat.
Es gibt in Deutschland einen massiven Fachkräftemangel. Der kann in kurzer Zeit durch Ausbildung nicht behoben werden. Da wird mehr Einwanderung versprochen.
Womit steht und fällt der Erfolg dieses Regierungsprogramms für die deutsche Wirtschaft?
Er steht und fällt damit, dass die angekündigten Eingriffe in Grenzen bleiben und dass die vorgenommenen Ziele im Bereich Ausbildung erfolgreich sein werden. Und wahrscheinlich steht und fällt er auch mit einem ganz anderen Thema, nämlich der Einwanderungspolitik. Hier ist der Koalitionsvertrag auch sehr eindeutig. Es gibt in Deutschland einen massiven Fachkräftemangel. Der kann in kurzer Zeit durch Ausbildung nicht behoben werden. Da wird mehr Einwanderung versprochen. Ob das mit dem europäischen Regelwerk und mit der deutschen Politik hinzukriegen ist? Das scheint mir nicht ganz einfach zu sein.