Mit Trump und seiner Zollpolitik werden alte Gewissheiten des Welthandels zertrümmert – aber eine neue Ordnung ist noch nicht klar erkennbar. Wie diese Entwicklung einzuordnen ist, weiss der Historiker Werner Plumpe.
SRF News: An welche Phase der Weltwirtschaftsgeschichte erinnert Sie die gegenwärtige Situation?
Werner Plumpe: Sie ist ziemlich einmalig, aber es gab ähnliche Phasen – etwa am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Dominanz Grossbritanniens nahm damals ab, es entstand die Möglichkeit einer multipolaren Welt. Dass es dazu gekommen ist, lag aber nicht an den wirtschaftlichen Verwerfungen, sondern am Ersten Weltkrieg. Nach dessen Ende war die Ordnung von 1914 nicht mehr da. Verschiedene verfeindete Blöcke und Staaten mussten miteinander zurechtkommen. Und die USA – als einzige Macht, die hätte Ordnung schaffen können – lehnten die Rolle ab.
Wie reagierte Grossbritannien Ende des 19. Jahrhunderts, als Deutschland dem «Empire» wirtschaftlich zunehmend den Rang ablief?
Wir stehen jetzt am selben Punkt: Eine Ordnungsmacht – damals Grossbritannien, heute die USA – garantiert eine weltweite Arbeitsteilung, bei der man selber gar nicht am schnellsten wächst. Im 19. Jahrhundert schaffte der englische Freihandels-Imperialismus Räume, die von anderen Mächten – von den USA und vom Deutschen Reich – viel stärker genutzt wurden als von England selber.
Deutschland stellte relativ preiswert qualitativ gute Produkte her – davon profitierten auch die Briten.
Zwar wurde das von Grossbritannien durchaus skeptisch betrachtet, aber die Briten sahen auch die Vorteile einer starken deutschen Industrie. Deutschland stellte relativ preiswert qualitativ gute Produkte her, die die Briten importierten und so davon ebenfalls profitierten. Die Skepsis gegenüber Deutschland war zwar gross, aber die Briten versuchten nicht wirklich, dessen wirtschaftlichen Aufstieg zu bremsen.
Aktuell werden die USA ähnlich herausgefordert – von China. Wie beurteilen Sie die Reaktion von US-Präsident Donald Trump?
Es würde an der historischen Situation vorbeigehen, wenn wir alles negieren würden, was Trump tut. Die Amerikaner garantierten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Ordnung, und nach dem Zusammenbruch des Ostblocks dachten sie, die ganze Welt tanze nach ihrer Pfeife. Doch unter der von den USA garantierten Ordnung entwickelte sich die Wirtschaft Chinas sehr viel schneller als jene der USA.
Die USA versuchen schon seit Obama, die Chinesen auszubremsen, um weniger von ihnen abhängig zu sein.
Anfänglich hatte man das begrüsst und China als billige Werkbank für Güter geschätzt – während sich die USA auf die Hochtechnologie oder die Finanzindustrie konzentrierten. Doch die Chinesen begnügten sich keineswegs damit, die Werkbank der Welt zu sein, sondern stiessen auch in alle anderen Bereiche vor. Inzwischen befindet sich China in vielen Bereichen mit den USA auf Augenhöhe. Und so versuchen die USA schon seit Präsident Barack Obama, die Chinesen auszubremsen, um weniger von ihnen abhängig zu sein.
Trumps Dealpolitik läuft nicht darauf hinaus, um jeden Preis zu eskalieren.
Können Sie schon Umrisse einer möglichen künftigen Weltwirtschaftsordnung erkennen?
Als Historiker kann ich da keine Prognose machen. Als Zeitgenosse und informierter Mensch sehe ich einen gewissen Hoffnungsschimmer in der Trump'schen Dealpolitik. Denn sie läuft nicht darauf hinaus, um jeden Preis zu eskalieren. Er will Deals, die er zwar mit harten Bandagen erkämpft – aber am Schluss einigt man sich so, dass beide Seiten etwas davon haben. Die jüngsten Signale aus China und den USA lassen hoffen, dass womöglich eine multipolare Ordnung durch robuste Aushandlungsprozesse und nicht durch Gewalt entsteht. Kommt es so, wäre das durchaus in Ordnung.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.