Für Nestlé ist die ganze Angelegenheit peinlich. Peinlich deshalb, weil das Unternehmen innerhalb eines Jahres bereits zum zweiten Mal den Chef wechselt. Wechseln muss. Das zeugt nicht von einer weitsichtigen Personalplanung.
Vor einem Jahr musste Mark Schneider Knall auf Fall Laurent Freixe Platz machen, weil der Verwaltungsrat mit dem Geschäftsgang nicht mehr zufrieden war. Laurent Freixe, mit seinen fast vier Jahrzehnten Erfahrung im Nahrungsmittelkonzern, sollte Nestlé wieder auf Erfolgskurs bringen. Und jetzt folgt erneut ein sofortiger Chefwechsel.
Privatangelegenheit mit Aussenwirkung
Freixe stolpert über eine Liebesbeziehung mit einer ihm direkt unterstellten Managerin. Grundsätzlich sind Liebesbeziehungen eine Privatsache. Wenn aber der Chef – bewusst und entgegen den internen Richtlinien – eine Liebesbeziehung verschweigt, dann wirft das ein schlechtes Licht auf ihn und das Unternehmen: Welchen Wert haben interne Richtlinien noch, wenn sogar der Chef dagegen verstösst? Und wie steht es um die Glaubwürdigkeit, wenn der Chef absichtlich den Verwaltungsrat und die Kolleginnen und Kollegen täuscht?
Allerdings macht auch der Verwaltungsrat, unter der Leitung von Paul Bulcke, in dieser Liebessache keine gute Figur. Offenbar gab es seit mehreren Monaten interne Hinweise für die besagte Beziehung. Aber erst eine zweite Untersuchung hat den Sachverhalt bestätigt, nachdem eine erste Abklärung ergebnislos geblieben war. Hat der Verwaltungsrat die internen Warnsignale nicht gesehen oder nicht sehen wollen? Deshalb muss sich das Führungsgremium ebenso die Frage gefallen lassen, wie ernst man kritische Stimmen aus dem eigenen Haus nimmt.
Fokus richten auf Hauptschauplatz
Letztlich hat der Verwaltungsrat aber die Reissleine gezogen und Laurent Freixe vor die Tür gestellt. Für Nestlé ist der Vorfall zweifellos unschön, aber immerhin dürfte das Unternehmen keinen finanziellen Schaden davontragen. Auch der Reputationsschaden dürfte sich in Grenzen halten, sofern Nestlé wieder zurück zu alter Stärke findet. Denn Nestlé müsste sich eigentlich anderen Herausforderungen – beispielsweise in den USA die jüngst verlorenen Marktanteile wieder zurückgewinnen – widmen, als seine Energie für vergleichsweise unbedeutende Nebenschauplätze zu verwenden.