Das Aufatmen beim grössten Schweizer Stahlhersteller Schmolz + Bickenbach und seinen weltweit rund 10'000 Angestellten war gross. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) gab diese Woche grünes Licht für die Kapitalerhöhung. Wenn diese Anfang Januar über die Bühne geht, rückt wieder das Tagesgeschäft in den Fokus – und damit Konzernchef Clemens Iller. Er blickt zurück auf turbulente Wochen und Monate.
SRF News: Was wollen Sie tun, damit Schmolz + Bickenbach aus eigener Kraft wieder mehr verdient?
CEO: Wir haben uns die letzten Jahre gut entwickelt und waren auf einem guten Weg. Relativ unvermittelt gab es Ende 2018 einen abrupten Abriss aus der Automobilindustrie. Diese ist für uns extrem wichtig. Über 50 Prozent unserer Exporte gehen dorthin. Mit dem Maschinenbau, der ebenfalls stark an der Automobilindustrie hängt, macht das bis zu 75 Prozent unseres Umsatzes aus. Schlagartig gab es einen Abbruch, der sich von Monat zu Monat beschleunigt hat. Es war eine aussergewöhnliche Situation.
Derzeit ist die Visibilität nach vorne noch sehr schlecht.
Nach der Kapitalerhöhung haben wir wieder sicheren Boden unter den Füssen und können Dinge aufnehmen, die wir in den letzten Monaten nicht machen konnten – etwa die Integration von Ascometal, die für uns unglaublich wichtig ist. Diese ist mit Investitionen verbunden, die wir erst einmal verschoben haben.
Viele Mitarbeiter von Schmolz + Bickenbach müssen derzeit Kurzarbeit leisten, weil die Werke nicht ausgelastet sind. So auch in der Schweiz. Können Sie abschätzen, wie lange diese Massnahme aufrechterhalten werden muss?
Leider nicht. Derzeit ist die Visibilität nach vorne noch sehr schlecht. Das Instrument der Kurzarbeit gibt es ja nicht in jedem Land, in dem wir tätig sind. In den USA etwa werden die Leute nachhause geschickt und kriegen im Grunde keine Lohnfortzahlung.
Bei den Banken ist die Nervosität relativ gross, wenn der Name Vekselberg fällt.
Insofern sind wir froh darüber, dass es das Instrument in der Schweiz, Deutschland oder Frankreich gibt. Der Staat übernimmt einen Teil der Kosten, sodass wir nicht gezwungen sind, Mitarbeiter zu entlassen. Wir hoffen, dass das Geschäft 2020 wieder anzieht. Es ist für mich aber noch zu früh, um Entwarnung zu geben.
Sie müssen mit zwei politischen Risiken leben: Mit Viktor Vekselberg haben Sie einen Grossaktionär, der als Privatperson auf der Sanktionsliste der USA steht; ihr Ableger in den USA leidet unter den Strafzöllen der US-Regierung. Wie gehen Sie mit den Unsicherheiten um?
Bei unseren Kunden und Lieferungen haben wir deswegen in den letzten Jahren kaum Schwierigkeiten gehabt. Bei den Verhandlungen mit den Banken hat es uns eher getroffen. Dort ist die Nervosität relativ gross, wenn der Name Vekselberg fällt. Aber auch das konnten wir ganz gut meistern. Bei den Strafzöllen liegt die Sachlage anders. Als die Einfuhrzölle auf Stahl in den USA in Kraft getreten sind, hat uns das getroffen. Es war aber zu unserem Vorteil, dass wir Spezial-Stahl produzieren.
Unsere US-Kunden konnten diesen Stahl in den USA entweder gar nicht beschaffen und erklärten sich bereit, die zusätzlichen 25 Prozent Einfuhrzölle zu übernehmen. Oder wir haben gemeinsam mit unseren Kunden Ausnahmegenehmigungen beantragt und diese auch bekommen. Wir haben heute eine riesige Zahl solcher Genehmigungen. Das ist uns aber nicht in allen Fällen gelungen. Einige Kunden haben versucht, den Stahl in den USA selbst zu beziehen. Wir liefern ja nicht nur Spezialitäten-Stahl. Dort sind die Mengen zurückgegangen. Insgesamt betrug der Rückgang aber nur etwa drei Prozent. Deswegen gerät nicht ein ganzer Konzern ins Straucheln.
Das Gespräch führte Lorenzo Bonati.