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Schweizer Luftfahrt Swiss & Co.: Rettungsaktion wird noch viel teurer

Hunderte Millionen Franken neues Eigenkapital für die Flugsicherung Skyguide und eine Milliardenbürgschaft für Flug- und Bodenbetriebe: Ohne Steuergelder wäre die Branche am Boden. Die Bedeutung der Luftfahrt wird vom Bund jedoch zu gross dargestellt.

Gerade mal sieben Flugzeuge der Swiss waren Ende März noch in der Luft. Wegen der Corona-Pandemie wurden Grenzen geschlossen, der Flugverkehr nahezu eingestellt. Die Swiss und mit ihr die gesamte Schweizer Luftfahrt ging das Geld aus. Der Bund startete eine Rettungsaktion.

An der Sondersession Anfang Mai segnete das Parlament ein Rettungspaket von knapp 1.9 Milliarden Franken für Kreditbürgschaften ab. Ein Drittel für flugnahe Betriebe wie SR Technics, 1.3 Milliarden für die Fluggesellschaften Swiss und Edelweiss.

Es kommt noch schlimmer

Unabhängig davon musste der Bund mittlerweile auch die Flugsicherung Skyguide unterstützen, mit bis jetzt 150 Millionen Franken Staatsgelder. «80 Prozent unserer Einnahmen stammen aus Lande- und Überfluggebühren. Wenn niemand landet oder über die Schweiz fliegt, haben wir keine Einnahmen», so Vladi Barrosa, Skyguide-Sprecher.

Ende August war Skyguide das Geld ausgegangen. Laut Barrosa wird Skyguide auch im nächsten Jahr mindestens nochmal so viel Geld benötigen.

Und auch für die Swiss sieht es nicht gut aus. «Die Swiss wird kleiner werden, das ist ganz klar. Das haben sie auch im Lufthansa-Konzern angekündigt», sagt Stefan Eiselin, Chefredaktor des Fachportals Aerotelegraph. Die Buchungen seien nach den Sommerferien wieder eingebrochen.

«Im Moment sind wir im schlimmsten Szenario: Der Passagier weiss nicht mehr, was noch erlaubt ist, wohin man noch kann – deshalb wird nicht mehr gebucht. Dadurch fallen wieder Einnahmen weg.»

Bund forderte keine Jobgarantien

Die Swiss wird wohl nicht um Entlassungen herumkommen. Dem ist sich auch Serge Gaillard, Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, bewusst. Er führte die Taskforce Luftfahrt an, welche die Bürgschaften ausarbeitete.

«Quarantänemassnahmen machen Reisen fast unmöglich.»

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Serge Gaillard ist Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV), In dieser Funktion ist er auch Leiter der Taskforce «Luftfahrt». Gaillard nimmt gegenüber SRF Stellung zu den dringendsten Fragen der Luftfahrtbranche.

SRF: Der Bund stellt den Schweizer Luftfahrt-Unternehmen 1.9 Milliarden Franken zur Verfügung. Jetzt hat sich die Lage verschlechtert. Die Swiss rechnet für diesen Winter mit viel weniger Kapazität als noch im Frühling. Heisst das, dass das Risiko für den Bund in den nächsten Monaten steigt, und dass er doch zahlen muss?

Wir haben diesem Kredit Businesspläne, also Szenarien für die Flugentwicklung, zugrunde gelegt. Diese waren ziemlich pessimistisch. Wir wissen natürlich nicht, wie die Entwicklung in den nächsten zwölf Monaten sein wird. In den ersten Monaten, im Juni und Juli, war die Entwicklung besser, als wir erwartet haben.

Und jetzt ist der Herbst wirklich verhagelt. Und zwar durch diese, ich würde sagen, unkoordinierten, und ich persönlich habe auch Zweifel, ob sie effizient sind, diese Quarantänemassnahmen, die jedes Land für sich bestimmt. Und die das Reisen fast unmöglich machen.

Da haben wir ein echtes Problem. Wir liegen heute etwa einen Fünftel unter dem, was wir erwartet haben. Aber ich glaube nicht, dass diese Quarantänebestimmungen lange überleben werden.

Sie hoffen auf einen Aufschwung im nächsten Jahr. Aber gehen wir davon aus, es gibt keinen Aufschwung, und es wird schlechter als erwartet. Kann es dann nicht sein, dass die Swiss und die flugnahen Betriebe bei Ihnen vor der Tür stehen und sagen: «Herr Gaillard, wir brauchen noch mehr Liquidität von den Banken und vom Bund, um überleben zu können.»?

Sie müssen sehen, das sind ja private Firmen. Der Bund hat Kredite verbürgt, um die Liquidität sicherzustellen. Aber damit dies möglich ist, müssen diese Firmen grundsätzlich gesund sein. Das heisst, wenn die Szenarien wirklich schlechter sein sollten als erwartet, dann müssen diese ihre Kapazitäten abbauen. Und ich denke, das sollten wir verhindern.

Wir haben jetzt viel unternommen, damit diese Luftfahrt unterbruchsfrei funktionieren kann. Wir haben die Kurzarbeit auf 18 Monate verlängert, die Liquidität unterstützt. Ich glaube, wir sollten jetzt auch bei diesen Quarantänebestimmungen und Reisebeschränkungen europaweit eine vernünftige Lösung haben, welche den Flugverkehr nicht völlig kaputt macht.

Das kann aber noch dauern. Der Staat hat viel Geld in die Hand genommen, trotzdem drohen zum Beispiel Lohnsenkungen in den entsprechenden Betrieben, auch bei der Swiss. Es drohen unter Umständen Jobverluste. Der Bund unterstützt Firmen, und gleichzeitig entlassen diese dann irgendwann Leute, geht das zusammen für Sie als ehemaligem Gewerkschafter?

Ich habe ja gesagt, der Bund hat viel unternommen, damit sozialverträgliche Lösungen möglich sind. Wir haben die Kurzarbeit von 18 Monaten, die Liquiditätsspritze. Und jetzt ist klar: Man kann am Schluss nicht Kapazitäten aufrechterhalten, wenn sie nicht mehr genutzt werden.

Wir gehen davon aus, dass sich der Flugverkehr bis 2024 wieder normalisiert, vielleicht nicht mehr auf das gleiche Niveau wie früher, einen gewissen Abbau wird es geben. Aber wenn der nicht zu schnell kommt, kann er sozialverträglich erfolgen.

Wenn natürlich mit Quarantänebestimmungen und solchen Dingen der Flugverkehr ganz zum Erliegen kommt, dann könnten Kapazitätsanpassungen schon sehr viel gravierender sein.

Im Vertrag gibt es keinerlei Jobgarantien, der Staat hat sich für seine Bürgschaften keine Jobgarantien ausbedungen?

Was sich der Staat ausbedungen hat, ist, wenn es zu Personalabbau kommen wird, dass es sozialverträgliche Lösungen braucht. Und die Swiss hat auch Tradition in der Sozialpartnerschaft. Gesamtarbeitsverträge, gute Beziehungen zu den Sozialpartnern. Aber eine Jobgarantie konnten wir nicht verlangen, weil wir ja nicht wissen, wie die Entwicklung sein wird.

Sie haben den Vertrag nicht veröffentlicht, wir wollten auch Einsicht nehmen. Wäre es nicht besser, Sie würden alles auf den Tisch legen, damit man weiss, wieviel Zins die Swiss bezahlt, dass es eben keine Jobgarantien gibt?

Das Parlament hat zugestimmt. Das Parlament stimmt ja nicht zu, ohne etwas zu wissen. Alle Eckwerte sind bekannt oder werden bekannt gegeben. Den Vertrag selber können wir nicht rausgeben. Das ist ein Vertrag, der von den Banken und der Swiss unterschrieben worden ist. Und da gibt es Geschäftsgeheimnisse. Wir veröffentlichen alles, was uns betrifft. Und ehrlich gesagt: jeden Eckwert können Sie bei uns erfahren.

«Was sich der Staat ausbedungen hat, wenn es zu Personalabbau kommen wird, ist, dass es sozialverträgliche Lösungen braucht. Aber eine Jobgarantie konnten wir nicht verlangen, wir wissen ja nicht, wie die Entwicklung sein wird.»

Auch bei den Bodendienstleistern SR Technics und Gategroup stehen mehrere hundert Jobs vor dem Abbau.

Bürgschaften trotz fragwürdiger Zahlen

Um die Betriebe überhaupt unterstützen zu können, musste im Frühjahr das Luftfahrtgesetz geändert werden. In der Botschaft an das Parlament verwendete der Bundesrat Ende April dramatische Zahlen: Etwa, dass für rund 70 Prozent der Schweizer Unternehmen die Abwicklung von Luftfracht eine wichtige Grundvoraussetzung sein soll.

Beim Onlinemagazin «Das Lamm» lösten dies Verwunderung aus. Redakteurin Alexandra Tiefenbacher fragte beim Bundesamt für Zivilluftfahrt nach einer Quelle zu dieser Zahl, erhielt aber eine abschlägige Antwort: «Mit der Begründung, dass im Moment gerade eine Interpellation läuft einer Genfer Nationalrätin, und sie nicht vorgreifen wollten». Mittlerweile musste der Bundesrat Stellung nehmen, «und auch zugeben, dass die Zahl so nicht verwendet werden kann», so Tiefenbacher.

Für Serge Gaillard war ein anderer Faktor entscheidend: «Der Einbruch des Flugverkehrs war so dramatisch, da hat der Bund gesagt, wir müssen einspringen. Wir müssen dafür sorgen, dass dies nicht zusammenbricht.

ECO, 21.9.2020, 22:25 Uhr

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