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Strafmassnahmen des Westens Warum Russland dem Sanktionsregime noch standhält

Die Sanktionen sollen Russlands Kriegsmaschinerie lähmen. Bis es so weit ist, dürften aber noch vier bis sechs Jahre vergehen, erklärt Russlandspezialist Gerhard Mangott.

Der Druck auf die russische Wirtschaft steigt fast im Wochentakt. Ein weiteres Sanktionspaket der EU – es ist das zehnte – soll den russischen Staat und damit auch seine Kriegsmaschinerie entscheidend schwächen.

Die neuen Handelsbeschränkungen treffen besonders industrielle Güter: Maschinenteile, Funkantennen, Baukräne, Spezialfahrzeuge sowie Ersatzteile für Lastwagen und Triebwerke. Mindestens genauso energisch bauen auch die USA ihre Sanktionen gegen den Aggressor Russland aus.

Russland-Flagge vor Euro-Symbol in Moskau.
Legende: Gegen keinen anderen Staat sind derzeit so umfangreiche Sanktionen in Kraft wie gegen Russland: Gut 2500 waren es bereits vor Kriegsbeginn, nun sind es knapp 14'000. Verhängt von der Europäischen Union, den G7-Staaten, Australien – und der Schweiz. Keystone/EPA/Maxim Shipenkov

Allerdings: Die Sanktionen wirken nur langsam. Gerhard Mangott, Professor an der Universität Innsbruck und Russlandspezialist, sagt: «Mit den Sanktionen sollen Russlands Fähigkeiten und Ressourcen unterminiert werden, Krieg zu führen. Dieses Ziel ist aber nicht kurzfristig erreichbar. Dafür braucht es sicher vier bis sechs Jahre.»

Das ist eine extrem lange Zeit. Kein Wunder, hat Russlands Wirtschaft bisher noch nicht sehr stark unter den Sanktionen gelitten. Nach Angaben des Kremls ging die Wirtschaftsleistung bislang nur um gut zwei Prozent zurück.

Wirtschaft ist noch nicht kollabiert

Solche Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen. Seit Kriegsbeginn hält der Kreml relevante Wirtschaftsdaten unter Verschluss. Als vor einem Jahr die ersten Sanktionen verhängt wurden, hatten Analysten noch damit gerechnet, dass die russische Wirtschaft um bis zu 15 Prozent schrumpfen würde. Klar ist: Die russische Wirtschaft ist noch nicht kollabiert.

Warum greifen die Strafmassnahmen nur zögerlich?

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Russland sei vorbereitet gewesen, sagt Mangott. So verfolgten die russische Regierung und Wirtschaft schon seit Jahren das Ziel, sich unverletzlicher gegenüber westlichen Sanktionen zu machen und resilienter zu werden. Entsprechende Vorkehrungen seien schon nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 getroffen worden, nach der erstmals Strafmassnahmen vom Westen verhängt wurden.

Konkret: Der russische Staat investierte enorme Summen in die Rüstungsindustrie und die Landwirtschaft. Baute eine eigene Logistik für den Transport von fossilen Brennstoffen auf. Und noch 2022 kaufte Europa Öl und Gas aus russischer Produktion, was dem russischen Staat Milliarden Rubel in die Kriegskasse spülte. Zudem hat Russland seit 2015 seine Handelspolitik schrittweise umgekrempelt. Sogenannte Parallelimporte sollen helfen, an westliche Produkte zu kommen.

Diese werden über den Umweg eines Drittlandes importiert. Zum Beispiel über Kasachstan oder Armenien. Kreml-Herrscher Putin kann seine Kriegsmaschinerie aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds finanzieren – einem Staatsfonds, der 2008 aufgesetzt wurde und der in Aktien und andere Anlagen investiert. 148 Milliarden Dollar schwer soll dieser sein.

Kommt hinzu: Russland ist nicht völlig isoliert, so wie es der Westen gerne hätte. Das sei entscheidend, sagt Mangott: «Der relative Erfolg der russischen Wirtschaft im letzten Jahr ist darauf zurückzuführen, dass viele Drittstaaten, die keine Sanktionen verhängt haben, alternative Import- und Exportpartner geworden sind.»

Die Rollen von Indien und China

Zum Beispiel Indien: Gerade in der Rüstungsindustrie seien beide Länder eng miteinander verbunden, erklärt Mangott. Gleichzeitig profitiere Indien indirekt von den Sanktionen gegen Russland und kaufe russisches Öl in sehr grossen Mengen zu extrem günstigen Preisen.

Zerstörte Häuser im ukrainischen Kupiansk nach russischem Angriff
Legende: Gerhard Mangott schätzt, dass die russische Kriegsmaschine noch gut und gerne sechs Jahre weiterlaufen kann. Keystone/AP/Vadim Ghirda

Beobachter gehen davon aus, dass Indien dieses Öl gleich weiterverkauft – auch an die EU, zu saftigen Preisen. Doch so stabil, wie sich Präsident Putin seine Wirtschaft herbeiredet, ist sie freilich nicht. Insbesondere dem wichtigsten Handelspartner, China, macht Putins Krieg Sorgen.

Langsam gibt es nicht mehr viele Sanktionen, die der Westen verhängen kann, ohne sich selbst massiv zu schaden.
Autor: Gerhard Mangott Professor für Politikwissenschaften an der Uni Innsbruck

Immer mehr chinesische Unternehmen halten sich bei Geschäften mit Russland zurück. Mangott sagt: «In Moskau musste man erkennen, dass die chinesischen Unternehmen nicht bereit sind, die Wirkungen der westlichen Sanktionen auszugleichen oder abzumildern. Denn sie haben Angst vor Sekundärsanktionen.»

Mit Sekundärsanktionen sind Strafmassnahmen gegen Länder gemeint, die Russland bei der Umgehung von Sanktionen helfen. Für die Chinesen seien die Märkte in Europa und Nordamerika wichtiger als Russland.

Bittere Einsicht

Fakt ist: Die Wirtschaft Russlands steht unter enormem Druck. Allerdings werde auch für die westlichen Nationen der Spielraum immer kleiner, glaubt Mangott: «Langsam gibt es nicht mehr viele Sanktionen, die man verhängen kann, ohne sich selbst massiv zu schaden.»

Für den Westen ist diese Einsicht bitter: Ein Jahr nach dem russischen Überfall gegen die Ukraine wird immer noch weiter gekämpft. In der Wirtschaft – und auf dem Schlachtfeld.

Echo der Zeit, 28.02.2023, 18 Uhr

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