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«Too big to fail» Bund hat Risiken für Steuerzahlende zu wenig kommuniziert

Im Krisenfall braucht eine systemrelevante Bank staatliche Liquiditätsgarantien. Das wusste der Bund seit Jahren.

Die CS kann ein Darlehen in der Höhe von bis zu 100 Milliarden Franken beziehen, das von den Steuerzahlenden garantiert wird. Bürgerinnen und Politiker rieben sich die Augen, als sie Nationalbank-Präsident Thomas Jordan an der Medienkonferenz zur CS-Übernahme durch die UBS zuhörten. Hatte der Bund nach der Rettung der UBS durch den Staat 2008 nicht versprochen, dass die Steuerzahlenden nicht mehr haften müssen?

Konkurs-Plan ist noch nicht fertig

An der denkwürdigen Medienkonferenz vom 19. März sagte Finanzministerin Karin Keller-Sutter, der «Too big to fail»-Plan hätte aufgrund der turbulenten Märkte nicht angewendet werden können. «Das hätte mit ziemlicher Sicherheit eine globale Finanzkrise ausgelöst». Was sie nicht gesagt hatte: Die «Too big to fail»-Pläne waren noch gar nicht fertig.  

«Too big too fail»

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Nach der Finanzkrise von 2008 verabschiedete das Parlament Regeln, damit systemrelevante Banken nicht untergehen und damit volkswirtschaftliche Schäden verursachen: Die Banken mussten ihr Eigenkapital und die Liquidität aufstocken. Im Krisenfall sollten die Konzerne teil liquidiert oder saniert werden. Bei einem Konkurs würde nur das Schweizer Geschäft gerettet, die ausländischen Niederlassungen würden liquidiert. Bei einer Sanierung wäre die Bank verkleinert worden. Peter Siegenthaler, damaliger Leiter der Finanzverwaltung sagte 2010: «Ziel der Massnahmen gegen ‘Too big to fail’ muss es sein, den Steuerzahler aus der ungewollten Haftung zu entlassen.» Jetzt aber zeigt sich: Bei der Sanierung einer Grossbank wären Garantien der Schweizer Steuerzahlenden in Milliardenhöhe nötig, im Konkursfall vermutlich auch.

DOK-Recherchen zeigen: Es hätte auch Milliarden an Garantien durch die Steuerzahlenden gebraucht, um die zwei Szenarien von «Too big to fail» umzusetzen: Wäre die CS saniert und verkleinert worden, hätte die Bank wegen des Bank-Runs ihrer Kunden, die ihre Einlagen abgezogen hätten, viel zusätzliche Liquidität gebraucht. Im zweiten Szenario wären die CS-Zweigniederlassungen im Ausland in den Konkurs geschickt worden. Auch dafür wären wahrscheinlich Garantien durch die Steuerzahlenden nötig gewesen, weil die Banken nicht alle gesicherten Einlagen der Gläubiger hätten decken können. 

Die Steuerzahlenden als letztes Sicherheitsnetz

Das Fachwort für die Garantie durch den Staat heisst: Public Liquidity Backstop (PLB). Reto Schiltknecht, ehemaliger Leiter von «Too big to fail» bei der Finanzmarktaufsicht (Finma) bis August 2021 sagt: «Der Public Liquidity Backstop ist das letzte Sicherheitsnetz, wenn die Bank keine Sicherheiten mehr hat.» Die Nationalbank kann der Bank ein Darlehen nur gewähren, wenn sie Sicherheiten dafür erhält. Ohne Sicherheiten der Bank müssen die Steuerzahlenden für das Darlehen garantieren. Nur: Für diese Staatsgarantien gibt es bisher keine rechtliche Grundlage. 

Logo der Finma
Legende: Die Finanzmarktaufsicht (Finma) gerät in die Kritik. Keystone/Archiv/PETER KLAUNZER

Bei der Übernahme der CS musste der PLB darum per Notrecht eingeführt werden. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) unter dem damaligen Bundesrat Ueli Maurer habe die Einführung auf dem Gesetzesweg verzögert, sagt Ex-Finma-Mann Schiltknecht: «Wir hatten die Engländer und Amerikaner seit 2017 im Nacken». Der PLB ist internationaler Standard im Fall einer Bankenkrise. Für Schiltknecht ist klar, warum das EFD die Vorlage liegen liess: «Man hatte Respekt vor der Diskussion im Parlament, dass eventuell der Steuerzahler wieder zur Kasse gebeten werden muss».

Im Notfall lieber Notrecht

Nach einer Bundesratssitzung im März 2022 zur Einführung des PLB hatte der damalige Finanzminister Ueli Maurer die Vernehmlassungsvorlage wegen der Liquiditätssituation der CS nicht beschleunigt an die Hand genommen, erklärte seine Nachfolgerin Karin Keller-Sutter. «Wir wollten nicht verunsichern», sagte Keller-Sutter an der Medienkonferenz. Und fuhr entwaffnend offen weiter: Man habe sich mit dem Bundesamt für Justiz abgestimmt: «Wenn wir den PLB tatsächlich brauchen sollten, wäre es möglich, von Notrecht Gebrauch zu machen».

Lieber Notrecht einsetzen, als dem Parlament reinen Wein einzuschenken? Das eidgenössische Finanzdepartement antwortet technisch: Als Voraussetzung für die «politische Akzeptanz für eine solche starke staatliche Massnahme» habe der Bundesrat 2019 geprüft, ob die Banken mehr Liquidität für den Krisenfall aufbauen müssen. Die neue Liquiditätsverordnung trat erst drei Jahre später in Kraft. Den Banken wiederum lässt das EFD 18 Monate lang Zeit, um ihre Liquidität bis Januar 2024 aufzustocken. Die Vernehmlassung für die Gesetzesvorlage für Liquiditätsgarantien vom Staat beginnt erst in der zweiten Jahreshälfte.

Reto Schiltknecht, der ehemalige Verantwortliche für «too big to fail» bei der Finma spricht Klartext: «Der Eindruck, dank der Regulierung brauche es keine Hilfe mehr vom Staat, ist im Rückblick fatal». Selbstkritisch sagt er, die Finanzmarktaufsicht hätte die Risiken proaktiver kommunizieren müssen. Es sei eine Herkulesaufgabe, die «Too big to fail»-Regeln, die weltweit gelten, umzusetzen.

SRF Dok, 06.04.23, 20:05 Uhr

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