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Umbau deutscher Autoindustrie Wenn Deutschland die Grippe hat, hustet die Schweiz

Die Autobauer müssen sich neu erfinden – und mit ihnen die Schweizer Zulieferer, sagt Technologie-Expertin Anja Schulze.

Die Autoindustrie ist ein Standbein der viertgrössten Volkswirtschaft der Welt. In den letzten Jahren war es um die deutschen Autobauer aber schlecht bestellt: Die Vorzeigebranche unseres grossen Nachbarn hat durch den Dieselskandal viele Verbraucher im In- und Ausland verprellt, mit der Umstellung auf einen neuen Abgas-Messstandard gekämpft und den Wandel zu Elektroautos verschlafen.

Audi und Daimler haben bereits angekündigt, in den kommenden Jahren insgesamt etwa 20’000 Stellen zu streichen. Der Wert der deutschen Auto-Exporte war im letzten Jahr erstmals seit 2009 rückläufig und sank um ganze zwei Prozent.

VW-Logo auf verschneiter Haube
Legende: Der Dieselskandal um manipulierte Abgaswerte kratzte gehörig am Lack der deutschen Autobauer. Dazu hinkt die Branche bei der Umstellung auf Elektroautos hinterher. Reuters

Betroffen von der Baisse sind auch viele Autozulieferer, bei denen ebenfalls Stellen gestrichen werden. In der Schweiz produzieren über 500 Unternehmen Teile für die Autoindustrie. 34'000 Angestellte arbeiten in der Branche und erzielen einen Umsatz von gut 12 Milliarden Franken. Das hat kürzlich die Universität Zürich errechnet, am «Swiss Center for Automotive Research».

Im Hinblick auf die Elektromobilität müssen sich alle Hersteller neu aufstellen.
Autor: Anja Schulze Technologie-Expertin, Universität Zürich

Anja Schulze ist Professorin für Technologie- und Innovationsmanagement an der Universität Zürich. Für sie ist klar: Die Schweizer Automobilzulieferer, die stark vom Export nach Deutschland abhängig sind, müssen sich neu erfinden. Sonst ist ihr Kerngeschäft durch die Umbauten in der Automobilindustrie stark gefährdet.

Tiefgreifender Wandel

Schulze macht allem voran den Technologiewandel für den drastischen Stellenabbau bei den deutschen Autobauern verantwortlich. «Im Hinblick auf die Elektromobilität müssen sich alle Hersteller neu aufstellen, ferner am Horizont auch auf das autonome Fahren und vielleicht auch auf die Brennstoffzelle.»

All diese Innovationen und Investitionen kosten viel Geld. Für Schulze ist durchaus vorstellbar, dass der Kostendruck an die Zulieferer weitergegeben wird.

Ladestation für Elektroauto
Legende: Schulze spricht von einer evolutionären, keiner revolutionären Entwicklung hin zur Elektromobilität. Denn nach wie vor würden viele Verbrennungsmotoren produziert – auch für Hybridfahrzeuge. Reuters

Direkt betroffen vom Strukturwandel seien Schweizer Zulieferer, die Teile für Verbrennungsmotoren lieferten. Diese drohen dereinst zum Auslaufmodell zu werden, auch wenn Schulze von einem «evolutionären, keinem revolutionären Übergang zur Elektromobilität» spricht.

Erfindergeist ist gefragt

Daneben gebe es aber auch eine Reihe von Herstellern, die indirekt vom Technologiewandel betroffen sind. Als Beispiel nennt Schulze den Winterthurer Zulieferer Autoneum. Dieser stellt textile Innenauskleidungen her, die für die Abschirmung vom Motorengeräuschen sorgen. Mit dem Elektromotor ändere sich die Geräuschkulisse nun aber signifikant, wodurch auch die Teppichauskleidung neu gedacht werden muss.

Das Gebot der Zeit heisst also: Umstrukturierung. Der Wandel kann aber auch eine Chance sein. So etwa für das Zürcher Startup WayRay, das mit «Augmented Reality» (dt.: erweiterte Realität) Informationen zur Navigation auf die Windschutzscheibe des Autos projiziert.

Für die Technologieexpertin sind hiesige Unternehmen bestens aufgestellt, um den Herausforderungen zu begegnen: «Denn die Schweiz landet bei den Rankings zu den innovativsten Ländern der Welt immer wieder auf Platz 1.»

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