SRF News: Das WEF ist ein Elitetreffen von Wirtschaftsführern und Politikern, es geht um Geschäfte, Macht und Einfluss. Was kann da eine Umweltorganisation ausrichten?
Marco Lambertini: Ich finde es sehr wichtig, in Davos präsent zu sein. Die anwesenden Wirtschaftsleute vertreten die weltweit grössten Unternehmen und sind somit auch für viele Probleme mitverantwortlich: CO2-Emissionen, Treibhausgase, die Beeinträchtigung von sensiblen Ökosystemen wie Ozeane oder Regenwälder.
Es zählt zu unseren Hauptaufgaben, die Sensibilität für diese Probleme zu erhöhen. Und es gibt positive Signale: Bestrebungen, wirtschaftlichen Fortschritt im Einklang mit der Umwelt zu erzielen, nehmen zu.
Viele Unternehmensvertreter wissen heute um die Wichtigkeit von Umweltanliegen. Die Konsumenten fragen vermehrt danach, aber auch die Wirtschaft selbst ist auf intakte Ressourcen angewiesen ist. In einer zerstörten Umwelt wird sich auch die Wirtschaft schlechter entwickeln. Deshalb glauben wir daran, dass sich die Wirtschaft wandeln kann. Vom Umweltproblem hin zu einem Teil der Lösung.
In einer zerstörten Umwelt, wird sich auch die Wirtschaft schlechter entwickeln.
Wie gehen Sie konkret vor, um Fortschritte zu erzielen?
Das WEF ist ein Forum, eine gute Gelegenheit also, um Dinge anzusprechen und Projekte aufzugleisen. In diesem Jahr sind die gesetzten Themen vielfältig. Wir werden über nachhaltige Grossstädte sprechen, über die Nahrungsmittelindustrie, und darüber, wie wir das Klimaabkommen von Paris umsetzen. Besonders erfreulich: Auch die Meere werden zum Thema. Beim Schutz der Fische müssen wir dringend Fortschritte erzielen.
Es ist eine intensive Woche für uns. Etwa 25 Treffen in fünf Tagen, darunter grössere Diskussionen, aber auch zahlreiche Einzelgespräche.
Sie sagen selbst: Beim WEF geht es vor allem um Gespräche. Wo bleiben da die Verbindlichkeiten?
Nun, auch darüber werden wir in Davos sprechen. Wie kommen wir vom Bewusstsein für die Notwendigkeit, etwas zu tun, zum eigentlichen Handeln. Wir konzentrieren uns bei unseren Initiativen momentan auf vier Bereiche: Erstens müssen wir grössere Flächen schützen, damit unser Ökosystem erhalten bleibt und wir auch in Zukunft genügend natürliche Ressourcen haben. Momentan sind nur 15 Prozent der Landmasse und etwa fünf Prozent der Meere geschützt. Das reicht nicht. Zweitens müssen wir bedrohte Wildtiere besser schützen und insbesondere den kommerziellen Handel eindämmen. Die Ankündigung von China, den Elfenbeinhandel zu stoppen, ist ein kleiner Schritt, aber es braucht so viel mehr.
Wie können wir mehr produzieren und gleichzeitig unser Klima gesund halten?
Der dritte Punkt dreht sich um die Frage, wie wir unsere Lebensmittel künftig mit einem geringeren Ressourcenverbrauch herstellen. Die Landwirtschaft verbraucht heute etwa 70 Prozent des Frischwassers und ist für 30 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Und in 30 Jahren müssen wir doppelt so viel Nahrung produzieren, denn wir werden drei Milliarden mehr Menschen auf der Welt haben – dazu müssen wir Hunger und Mangelernährung bekämpfen. Wie also können wir mehr produzieren und gleichzeitig unser Klima gesund halten?
Beim vierten Punkt geht es – wie bereits angesprochen – um einen besseren Schutz der Ozeane. Das sind unsere Schwerpunkte, nicht nur am WEF. Klar, um diese Ziele zu erreichen, braucht es viel Engagement: von den Unternehmen, den Regierungen, aber auch von den Konsumenten.
Kritische Stimmen klagen die Nähe des WWF zur Wirtschaft an. Allzu oft sei ihr Label nur ein ökologisches Feigenblatt, mit dem die Unternehmen ihr Gewissen beruhigen.
Der WWF glaubt an Zusammenarbeit. Ich bin überzeugt: Wenn wir Lösungen für die massiven Probleme finden wollen, mit denen unser Planet und unsere Gesellschaft konfrontiert sind, kann man nicht nur von aussen kritisieren. Wir machen deshalb von innerhalb auf unsere Anliegen aufmerksam und versuchen Diskussionen voranzutreiben, die zu Lösungen führen.
Wir gehen den Weg der Kooperation. Das heisst nicht, dass wir nicht kritisch sind.
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Wir arbeiten jedoch nicht nur mit grossen Unternehmen zusammen, sondern sind vermehrt auch lokal tätig. Wir beraten Kleinbauern, haben Niederlassungen in zahlreichen Ländern und fördern einheimisches Personal, um besser mit den Leuten vor Ort kooperieren zu können. Wir müssen sowohl bei den globalen Firmen und Mechanismen ansetzen als uns auch vor Ort, im Feld engagieren. Von global zu lokal, quer durch das Wirtschaftssystem.
Und bei allem Respekt für andere Organisationen, die ihre Kritik radikaler äussern – wir gehen den Weg der Kooperation. Das heisst nicht, dass wir nicht kritisch sind und unsere Argumente auch laut und deutlich anbringen, auch in Davos.
Das Gespräch führte Adrian Ackermann.
Sendebezug: Regionaljournal Graubünden, 18.01.2017