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Vorsicht in Gewässern Schweizer Kläranlagen müssen Abwasser in Flüsse leiten

Kläranlagen leisten einen wichtigen Dienst an der Gesellschaft. Indem sie unser Abwasser reinigen, schützen sie unsere Gewässer für Mensch, Tier und Pflanzen. Doch das System ist nicht perfekt. Bei Regen gelangt regelmässig ungeklärtes Abwasser in die Gewässer.

In der Abwasserreinigungsanlage (ARA) Buholz in Emmen LU wird das Abwasser der Stadt Luzern und der umliegenden Gemeinden gereinigt. Das System umfasst über 180'000 Menschen plus Industrieabwässer. Über verschiedene Reinigungsstufen wird das Wasser aufbereitet und schliesslich geklärt in die Reuss geleitet. Bei trockenem Wetter kann die ARA dieses Abwasser gut bewältigen, sogar die doppelte Menge ist möglich. Probleme gibt es, wenn es stark regnet.

Bei starkem Regen sind wir gezwungen, Abwasser in die Reuss zu leiten. Das passiert etwa 100 Mal im Jahr.
Autor: Alexander Kleiner Leiter ARA Buholz

Die Schweizer Kanalisationen sind in der Regel so organisiert, dass Regenwasser zusammen mit dem Abwasser aus Haushalten und Industrie abfliesst. Für die Kläranlagen bedeutet das, dass sie bei Regen mehr und verdünntes Abwasser klären müssen. Bei starkem Regen wird das System dann temporär überfordert.

Die ARA Buholz in Emmen LU

Über Überläufe in der Kanalisation und bei der Kläranlage selbst muss Abwasser dann ungeklärt in Gewässer geleitet werden. «Bei starkem Regen sind wir gezwungen, Abwasser in die Reuss zu leiten. Das passiert etwa 100 Mal im Jahr. Insgesamt rund 300 Stunden», sagt Alexander Kleiner, der die ARA Buholz in Emmen leitet. «Aktuell bauen wir ein Auffangbecken. Abwasser wird dann weniger häufig in die Reuss fliessen.»

Was kann ich tun?

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Eine hundertprozentige Abwasserreinigung gibt es nicht. Daher ist es wichtig, dass keine Abfälle in den Abfluss gelangen, die dort nicht hingehören. Öle, Chemikalien, Medikamente, Dünger, Gifte, Farben und Lacke gehören nicht in den Abfluss, sondern müssen bei den Verkaufsstellen zurückgegeben werden.

Auch Feststoffe wie Katzenstreu, Kondome, Kaugummi, Plastik und Hygieneartikel (Windeln, Tampons, Binden, Feuchttücher) gehören nicht in die Toilette.

Biologisch abbaubare Produkte schonen die Gewässer. Essensreste gehören gegebenenfalls auf den Kompost, aber nicht in die Toilette. Sie können Rohrleitungen verstopfen und Ratten anlocken.

Auch das neue Auffangbecken wird nur teilweise Entschärfung bieten. Um das Problem ganz zu lösen, müssten weitere Auffangbecken gebaut werden, oder das Kanalisationssystem müsste grundlegend verändert werden, sodass Abwasser und Regenwasser nicht mehr zusammenfliessen. Beides ist sehr teuer und aufwendig. Luzern mit der ARA Buholz ist kein Einzelfall. Das Abwassersystem funktioniert in der ganzen Schweiz nach diesem Prinzip.

Infektionsgefahr beim Baden

Einige Kilometer flussabwärts von Emmen liegt Bremgarten AG. Bei Regenwetter fliesst hier auch das abgelassene Abwasser der ARA Buholz durch. Dazu kommen entsprechende Abwässer der Stadt Zug und Ausschwemmungen aus der Landwirtschaft. Das Baden im braunen Wasser empfiehlt sich dann nicht, weil Bakterien, Viren und andere Stoffe im Flusswasser sind.

Die Surfer können vom Wasser Infektionen kriegen durch Verschlucken, Kontakt mit Schleimhäuten oder offenen Wunden.
Autor: Irina Nüesch Sektionsleiterin Trink- und Badewasser, Kanton Aargau

Bremgarten ist aber auch beliebt bei Surferinnen und Surfern, die auf einer stehenden Welle im Fluss surfen. «Das geht eben besonders gut, wenn viel Wasser die Reuss runterfliesst», sagt Irina Nüesch, Sektionsleiterin Trink- und Badewasser beim Kanton Aargau. Doch: «Die Surfer können vom Wasser Infektionen kriegen durch Verschlucken, Kontakt mit Schleimhäuten oder offenen Wunden.»

Die Reuss bei Bremgarten

Kläranlagen werden besser

Noch vor wenigen Jahrzehnten gehörten schäumende und stinkende Gewässer in der Schweiz zur Tagesordnung. Auch wegen der Kläranlagen hat sich die Wasserqualität insgesamt deutlich verbessert. «Die Kläranlagen sind eine Errungenschaft und eminent wichtig für eine gute Gewässerqualität. Trotz laufender Verbesserungen bieten sie aber keinen hundertprozentigen Schutz», sagt Paul Sicher vom Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA). «Starkregenereignisse können die Gewässerqualität kurzfristig noch immer stark beeinträchtigen.»

Die Kläranlagen der Schweiz

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Kläranlage mit Becken und Schaum auf dem Wasser.
Legende: Die Kläranlage Werdhölzli reinigt das Abwasser der Stadt Zürich und der sechs angrenzenden Gemeinden Adliswil, Kilchberg, Opfikon, Rümlang, Wallisellen und Zollikon. (Bild vom 5. Juli 2017) KEYSTONE/Christian Beutler

In der Schweiz gibt es rund 750 Abwasserreinigungsanlagen (ARA). Zusammen reinigen sie jährlich etwa 1.35 Milliarden Kubikmeter Abwasser. Das entspricht etwa dem Inhalt des Bielersees.

Die Technologie der Anlagen wird laufend verbessert. Zahlreiche Anlagen bauen aktuell eine 4. Reinigungsstufe oder haben diese bereits in Betrieb genommen. In dieser Stufe werden Mikroverunreinigungen, etwa aus Reinigungsmitteln oder Medikamenten entfernt. Das gelingt allerdings nie zu 100 Prozent. Wie viel Wasser wegen Starkregen ungereinigt in Gewässer fliesst, dazu gibt es keine Zahlen.

Bei Starkregen sollte also auf das Baden verzichtet werden. «Die lokalen Behörden informieren situativ über die Badewasserqualität. Schlussendlich hilft aber auch der gesunde Menschenverstand. Nach einem Gewitter in den braunen Gewässern baden zu gehen, macht keinen Sinn.»

Heute Morgen, 2.8.24, 6 Uhr

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