Benjamin Dennig ist seit zehn Jahren Studienleiter bei der Gesellschaft für innovative Marktforschung in Heidelberg. Er wollte herausfinden, wie Leute zu Hause kochen. Sein Ziel war es, Küchengerätehersteller und andere Kunden beraten können, wie sie beispielsweise die Küche in einem Werbefilm gestalten müssen, damit sich potentielle Käufer und Käuferinnen angesprochen fühlen.
Eines Tages hatte er die Idee, auf Youtube zu schauen, ob er dort verschiedene Kundentypen erkennen könnte. Bisher hatte er stets nur Texte auf Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter analysiert, nicht aber Bilder.
Dabei würden auf der Videoplattform Youtube pro Minute weltweit etwa 100 Stunden Viedomaterial hochgeladen, sagt Dennig. «Eine enorme Datenmenge, die nicht genutzt wird», sagt er. Im Vergleich zu Informationen, die nur auf Text basieren, habe diese Datenmenge zudem «einen entscheidenden Vorteil: Bild und Ton.»
Bild und Ton zusammen liefern viel mehr Informationen als reiner Text. Deshalb könne zum Beispiel ein Koch-Video von einem Hobby-Koch auf Youtube sehr aufschlussreich sein für einen Hersteller von Küchengeräten.
Poulet-Brätler mit Design-Herd
Um das zu demonstrieren, spielt Dennig ein Filmchen auf Youtube ab. Darin sieht man, wie ein Rentner Pouletstücke in eine Pfanne gibt. «Wir sehen, dass das kein normaler Herd ist», erklärt Dennig. Vielmehr sei es ein italienischer Design-Herd, der 8000 Euro und mehr kostet. «Es ist ein Gerät für Profis – eine wichtige Information für die Vermarktung eines bestimmten Produktes.»
Der Rentner im Video übergiesst das Hähnchen mit Wasser und setzt eine Deckel auf die Pfanne – auf eine teure Chromstahlpfanne. Dieser Mann lege offensichtlich wert auf Qualität, sagt Dennig. «Wenn ich ein Produkt an eine solche Zielgruppe verkaufen möchte, muss ich ein Ambiente kreieren, in dem sich die Zielgruppe wiederfindet.» Dennig macht das beispielsweise, indem er einen solchen Herd in seinen Werbefilm einbaut.
Zeitraubende Video-Analyse
Ein Video wie dieses verrate sehr viel über den Macher, sagt Dennig. In vielen Fällen wohl mehr, als der eigentlich von sich preisgeben möchte. Doch trotz der vielen Informationen, die in Videos und Bildern stecken werten Marktforscher sie erst zögerlich aus. Es ist sehr aufwändig, die Videos einzeln zu analysieren.
Computersoftware für Bildanalysen gebe es nämlich noch kaum, sagt Dennig. «Es gibt zwar neuerdings auch Mittel und Wege, um computergestützt Videos zu analysieren. Aber da steckt die Technik noch in den Kinderschuhen. Ich habe es ausprobiert, es bringt nicht viel.»
Deshalb analysierten Marktforscher auch heute noch hauptsächlich Texte auf Facebook, Twitter und anderen Social-Media-Plattformen. «Da ist der grosse Vorteil, dass es viele Angebote an Softwaremöglichkeiten gibt, um Textinformationen im Socialweb sehr schnell zu bearbeiten, zusammenzufassen und zu systematisieren», so Dennig.
Nicht alle sind Sozial-Media-affin
Susan Shaw ist Geschäftsführerin der Gesellschaft für innovative Marktforschung und Präsidentin des Verbands Schweizer Markt- und Sozialforschung. Sie sieht noch weitere Gründe, weshalb die meisten Marktforschungsinstitute kaum Bilder und Videos für Marketingzwecke auswerten .
So wollten Marktoforscher ihren Kunden ein repräsentatives Bild abgeben über die Personen, die ihre Produkte nutzen, sagt Shaw. «Wir beziehen auch Leute mit ein, die nicht Social-Media-affin sind oder Leute, die sich vielleicht nicht so gerne im Netz selbstinszenieren. Auch diese müssen wir befragen.»
Trotzdem ist Shaw ist überzeugt, dass Youtube-Filmchen und Bilder in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Denn die Fundgrube wird von Tag zu Tag grösser und wertvoller, weil immer mehr Leute Fotos und Videos von sich ins Netz stellen.