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Zweiklassen-Medizin im Aargau? Privatkliniken sollen weniger Allgemeinpatienten behandeln müssen

  • Im Aargau müssen alle Spitäler, die Geld vom Kanton erhalten, mindestens 50 Prozent allgemeinversicherte PatientInnen behandeln im stationären Bereich.
  • Die Regierung streicht diese Regelung nun – gegen ihren Willen – per Ende Juli, obwohl dadurch eine Ungleichbehandlung im Gesundheitswesen drohe.
  • Die Änderung geht zurück auf einen verpflichtenden Vorstoss im Aargauer Kantonsparlament. Bürgerliche PolitikerInnen konnten hier gegen die Regierung die Lockerung zu Gunsten der Privatkliniken durchsetzen.
  • Mit der Abschaffung der 50-Prozent-Regel setzt der Aargau künftig eine Empfehlung der nationalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) nicht mehr um.

Um was geht es? Heute müssen Aargauer Spitäler, die via Spitalliste Geld des Kantons erhalten, im stationären Bereich mindestens 50 Prozent allgemeinversicherte PatientInnen behandeln. Dies gilt natürlich für die Kantonsspitäler, aber ebenso für die Privatkliniken, die sich für die Spitalliste bewerben. Ziel der Regelung ist gemäss Regierung, eine Ungleichbehandlung im Gesundheitswesen verhindern. Privatkliniken sind durch den 50-Prozent-Anteil verpflichtet genügend allgemeinversicherte PatientInnen zu behandeln und dürfen sich nicht nur auf die lukrativeren «Kunden» mit Zusatzversicherungen konzentrieren. Nun soll die 50-Prozent-Grenze allerdings per Ende Juli gestrichen werden.

Die Spitalliste und ihre Bedeutung

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Die Spitalliste eines Kantons definiert, welches Spital welche Leistung erbringen darf bzw. muss. Die Regierung stellt über die Liste sicher, dass es bei bestimmten Behandlungen weder Unter- noch Überversorgung gibt und dass überall im Kanton die Grundbehandlung sichergestellt ist. Auf die Spitalliste kommen nur Spitäler, die Auflagen zu Qualität, Wirtschaftlichkeit, Ausbildung, Hygiene etc. erfüllen.

Ist ein Spital auf der Liste, bezahlt der Kanton 55 Prozent jeder Behandlung. Den Rest decken die Krankenkassen. Auf der Spitalliste sind Spitäler aus dem Aargau vertreten, aber auch solche aus umliegenden Kantonen. Diese bieten sehr spezialisierte Behandlungen an, die im Aargau nicht vorhanden sind. Die Spitäler müssen sich alle vier Jahre für Leistungsaufträge bewerben.

Warum wird die Vorgabe zu Gunsten der Privatkliniken gelockert? Die Änderung geht zurück auf einen Vorstoss im Aargauer Kantonsparlament. Bürgerliche PolitikerInnen von FDP, SVP und CVP forderten, die 50-Prozent-Vorgabe sei ersatzlos zu streichen. Sie sei nicht «wettbewerbstauglich», begründete Initiantin Martina Sigg von der FDP und sie benachteilige Privatkliniken.

Privatkliniken und die Spitalliste

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Symbolbild: Arzt zeigt auf Schriftzug Privatklinik
Legende: Imago images

Den Privatkliniken ist es im Unterschied zu den Kantonsspitälern grundsätzlich freigestellt, ob sie sich für einen Platz auf der Spitalliste bewerben. Entscheiden sie sich dafür, erhalten sie einen öffentlichen Leistungsauftrag und Geld des Kantons, müssen umgekehrt aber bestimmte Verpflichtugen erfüllen.

Entscheidet sich eine Privatklinik gegen die Spitalliste, darf sie zwar frei entscheiden, welche Behandlungen sie anbietet und welche PatientInnen sie behandelt, sie erhält aber auch kein Geld des Kantons und auch die Krankenkasen bezahlen nicht zwingend etwas an die Behandlungen.

Privatkliniken, die sich gegen die Spitalliste entscheiden, müssen auf individueller Ebene Verträge mit den Krankenkassen abschliessen, damit sie von Leistungen der obligatorischen Grundversicherung profitieren können. Beispiele dazu sind u.a. die Privatklinik Bethanien oder die Hirslanden Klinik im Park in Zürich.

Warum war die Regierung gegen die Lockerung? Die klar bürgerlich dominierte Regierung stellte sich im Parlament mit deutlichen Worten gegen das Anliegen. Streiche man die Behandlungspflicht für Allgemeinversicherte drohe eine Ungleichbehandlung im Gesundheitswesen, argumentierte der Regierungsrat. Zudem widerspreche es dem öffentlichen Leistungsauftrag, den eine Klinik auf der Spitalliste hat. Mit den aktuellen Behandlungszahlen in allen Spitälern, lasse sich mit der 50-Prozent-Regelung auch kein Nachteil für Privatkliniken erkennen. Die Bürgerlichen setzten sich Parlament dennoch knapp durch, weswegen die Regelung nun gestrichen wird.

Was bedeutet die Änderung für Patientinnen und Patienten? Genau lässt sich das im Voraus nicht sagen. Die Regierung geht allerdings davon aus, dass Privatkliniken künftig bevorzugt halbprivat- oder privatversicherte PatientInnen aufnehmen dürften, da diese lukrativer sind für das Geschäft. Für Allgemeinversicherte – die grosse Mehrheit der Bevölkerung – könnte das heissen, dass sie von Privatspitälern künftig eher abgewiesen oder auf Wartelisten platziert werden und so das Recht auf freie Spitalwahl ausgehebelt wird.

Allerdings unterstehen gemäss Bundesgesetz alle Spitäler auf einer kantonalen Spitalliste einer generellen Aufnahmepflicht. Das heisst, dass Privatspitäler im Aargau auch künftig grundsätzlich alle PatientInnen aufnehmen müssen, ob allgmein- oder zusatzversichert. Mit der 50-Prozent-Regel hatte der Kanton bisher aber ein Instrument zur Verfügung um diese Aufnahmepflicht zu kontrollieren und Verstösse, falls nötig zu sanktionieren. Fällt nun diese Regel wird die Kontrolle, ob Privatspitäler wirklich keine allgemeinversicherten PatientInnen abweisen, stark erschwert.

Wie ist die Regelung in anderen Kantonen? Gemäss der Aargauer Regierung kennen auch andere Kantone Instrumente, welche Allgemeinversicherten den Zugang zu Privatspitälern garantieren sollen. Die eidgenössische Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) empfiehlt den Kantonen seit 2018 eine solche Regelung bezüglich Mindestanteil allgemeinversicherter PatientInnen einzuführen. Auf Anfrage bei der GDK heisst es allerdings, man habe keinen Überblick, wie die einzelnen Kantone die Empfehlung umsetzen. Klar ist nun jedoch, dass der Aargau ab August diese Empfehlung nicht mehr befolgen wird, mit ungewissen Folgen.

Regionaljournal Aargau Solothurn 12:03 Uhr ; 

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