Der ehemalige Sex-Pistols-Frontmann Johnny Rotten bezeichnete die Reunion-Tour seiner alten Kollegen als «Karaoke» und machte in britischen Medien klar, dass er die Sex Pistols sei und dieses Comeback unsinniger Kinderkram.
So ganz unrecht hatte Rotten mit seiner Prophezeiung nicht. Punk-Karaoke wurde zwar erst später geboten am Greenfield Festival, aber der Funken sprang nicht von der Bühne aufs Publikum.
Das Punk-Herz blutete
Die Ausgangslage am Greenfield Interlaken, diesem auf Metal spezialisierten Festival, war spannend: Wie werden die Punk-Urväter vom eher jungen Publikum empfangen? Wie passen die einstigen Bürgerschrecks, die auf Londons Strassen regelrechte Aufstände provozierten, in das idyllische Bergpanorama Interlakens? Leider gar nicht.
Als die Sex Pistols um 19 Uhr mit «Holidays in the Sun» begannen, brannte die Sonne noch gnadenlos. Und das Punk-Herz begann zu bluten. Die Band bemühte sich, spielte tight, einen Heuler nach dem anderen. Dem Publikum war das alles relativ egal.
Rückblende: 1976 machte eine Bande von Rüpeln Londons Strassen unsicher. Punk nannte man das damals. Die Wortkreation geht zurück auf den Sex-Pistols-Manager Malcolm McLaren. Die Band war aggressiv und kaputt und jagte dem Establishment mit ihren gebellten Parolen einen richtigen Schreck ein.
Das berüchtigste Ensemble der Punk-Historie
Am Geburtstag der Queen schmetterten sie dieser auf einem Boot auf der Themse ihren Song «God Save the Queen» entgegen. Die Königin war «not amused», der Geheimdienst schaltete sich ein. Die Sex Pistols wurden von Royalisten gejagt und verprügelt, mussten untertauchen – und wurden zum berühmt-berüchtigsten Ensemble der Punkhistorie.
Damals war ihr neuer Sänger Frank Carter noch nicht einmal auf der Welt – er hat Jahrgang 1984. Und wohl auch 90 Prozent des Publikums in Interlaken. Es hatte etwas Verzweifeltes, wie Carter den Leuten immer wieder erklärte, dass hier drei Legenden auf der Bühne stehen.
Dass die meisten Bands am Greenfield gar nicht existieren würden ohne die Pioniertaten der Sex Pistols, der sagenumwobensten Formation der Generation «No Future». Carter sprang ins Publikum, bildete einen Circle Pit. Es wirkte eher wie eine Polonaise.
Die drei Original Sex Pistols Steve Jones, Glen Matlock und Paul Cook sahen fantastisch aus, leicht distinguiert, mit gut sitzenden Frisuren und kecken Halstüchern, als kämen sie direkt von einem Apéro. Ein Heuler nach dem anderen wurde abgedrückt. «Pretty Vacant», «God Save the Queen» und natürlich «Anarchy in the UK».
Frank Carter, der perfekte Johnny Rotten-Ersatz
Damit wir uns richtig verstehen: Frank Carter ist eigentlich der perfekte Johnny-Rotten-Ersatz. Er singt die Pistols-Heuler aus dem Effeff. Die Band spielte gut. Trotzdem wirkte der Auftritt deplatziert an diesem frühen Abend im Berner Oberland. Sinnbildlich dafür: Nach dem Sex-Pistols-Konzert spielte auf der Nebenbühne eine amerikanische Punk-Coverband Abba-Hits. Dort war mehr los.
Frank Carter schrie es dem Publikum entgegen im Song «God Save the Queen» und er hatte recht: «No Future» für die Sex Pistols, zumindest nicht in Interlaken.