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Enormer Druck im Gastrogewerbe Spitzengastronomie – der bittere Nachgeschmack der Sterneküche

In der Spitzengastronomie sind der Stress enorm, die Arbeitstage lang und der Lohn tief. Für perfekte Gerichte gehen viele an ihr Limit – doch zu welchem Preis?

«Ja nicht den Stern verlieren. Für das wurde bei uns einfach sehr vieles in Kauf genommen.» Lukas (Name von der Redaktion geändert) hat die Schattenseiten der Spitzenküche am eigenen Leib erfahren. Seine Lehrzeit in einem renommierten Sternerestaurant wurde zu einer Zerreissprobe, deren Folgen ihn bis heute begleiten. Studien und Umfragen zeigen: In kaum einer anderen Branche gibt es so viel Stress und Druck wie in der Gastronomie und fast jede dritte Ausbildung wird abgebrochen. 

Person mit Kapuze, Mütze und Sonnenbrille in Innenraum.
Legende: Lukas spricht lieber anonym über seine Erlebnisse in der Spitzenküche – denn die waren oft alles andere als schön. SRF / Milena Burch

Ein normaler Arbeitstag umfasste oftmals 12 bis 18 Stunden, manchmal mit nur einer halben Stunde Pause. «Es wurde herumgerannt und geschrien. Alle waren wie auf Nadeln. Ich kann mich an wenige Tage erinnern, in denen es mal entspannt zu- und herging.» Schlimm war aber vor allem der psychische Druck, den er durch seinen damaligen Küchenchef erfuhr. Dieser sei sehr launisch gewesen und es herrschte ein streng hierarchisches System, in dem ein unterwürfiges Verhalten gefordert war. 

Ein Vorfall blieb Lukas besonders in Erinnerung: Für die letzten Gäste musste er Gebäck zum Kaffee zubereiten und auf jedes Gebäck einen fingernagelgrossen Punkt setzen. Als ihm gegen Ende des Abends nicht mehr genug Sauce zur Verfügung stand und er nur einen halb so grossen Punkt setzte, sei sein Chef ausgerastet. Er habe Lukas beschimpft, dass die Situation peinlicher sei, als wenn er sich vor der ganzen Belegschaft und Kundschaft entblössen würde.

Ich wäre wahrscheinlich ein anderer geworden, wenn das alles nicht passiert wäre.
Autor: Lukas Ehemaliger Koch

Als Lukas ihn später fragte, ob er noch bei etwas helfen könne, habe der Chef geantwortet: «Ja, du kannst mir eine Pistole organisieren, dann kann ich mich erschiessen und muss dich nie mehr anschauen.» Diese Aussage habe auch im Nachhinein noch viel mit ihm gemacht, erzählt Lukas. 

Suchtmittel zur Stressbewältigung

Die Auswirkungen des hohen Drucks waren für Lukas und einige Kollegen extrem. Ein Arbeitskollege wollte sich sogar das Leben nehmen, weil er mit der Belastung nicht mehr zurechtkam. Er sei nur immer wieder in der Küche erschienen, um die Kollegen nicht im Stich zu lassen. Darauffolgend habe er sich in den Suchtmittelkonsum geflüchtet. Lukas meint: «Alkohol, Nikotin und Cannabis sind sowieso schon Grundthematik in der Küche. Zwei Kollegen sind dann aber in die starken Drogen abgerutscht.»

Lukas selbst griff vor allem zum Alkohol, um überhaupt Schlaf zu finden: «Ich dachte: Ich muss jetzt schlafen, weil ich sonst morgen den Zwölfstünder nicht schaffe.» Teilweise habe er auch gekifft, um nach der Arbeit herunterzukommen. Bis heute hat er noch ab und zu einen ungesunden Umgang mit Suchtmitteln und kämpft mit Schlafproblemen. «Ich wäre wahrscheinlich ein anderer geworden, wenn das alles nicht passiert wäre», meint der 23-Jährige. 

Ein branchenweites Problem 

Lukas ist mit seinen Erlebnissen kein Einzelfall. Viele Personen aus dem Gastgewerbe berichten von ähnlichen Erfahrungen. 14-stündige Arbeitstage ohne Ruhezeit seien normal, mehrere erzählen von fliegenden Pfannen und Töpfen und manche mussten trotz schweren Verbrennungen oder Verletzungen weiterarbeiten. 

Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und konnte es mir nicht vorstellen, zurück in die Küche zu gehen, weil ich sofort zusammengebrochen wäre.
Autor: Eric Meier Spitzenkoch

Auch Spitzenkoch Eric Meier bestätigt die psychische Belastung: «Man wird angeschrien, man wird fertiggemacht und es ist einfach auf der mentalen Ebene übergriffig.» Er selbst erlitt einen Nervenzusammenbruch aufgrund des hohen Drucks und des damit einhergehenden Schlafmangels: «Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und konnte es mir nicht vorstellen, zurück in die Küche zu gehen, weil ich sofort zusammengebrochen wäre.»

Mann kocht in einer Restaurantküche.
Legende: Heute hat Spitzenkoch Eric Meier eine gute Work-Life-Balance gefunden. SRF / Milena Burch

Nach einer Auszeit und aktiver Arbeit an seiner mentalen Gesundheit arbeitet Eric Meier nun wieder in einem Sternerestaurant. Er fühle sich dort sehr wohl und habe auch eine gute Work-Life-Balance gefunden. 

Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen 

Die Gastronomie ist eine Tieflohnbranche, leidet unter Fachkräftemangel und weist laut Job-Stress-Index neben dem Sozial- und Gesundheitsbereich das höchste Stresslevel auf. 

Laut dem Arbeitnehmerverband Hotel & Gastro Union seien die Arbeitsbedingungen in der Gastronomieszene definitiv nicht zufriedenstellend. Derzeit finden Verhandlungen mit den Arbeitgeberverbänden statt, um die Rahmenbedingungen in der Branche zu verbessern. Die Arbeitnehmerverbände fordern unter anderem höhere Löhne, eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, die Sicherung des Nachwuchses und Massnahmen gegen Belästigung und Mobbing. 

Beat Imhof, Präsident des gastgewerblichen Arbeitgeberverbands Gastrosuisse, räumt ein, dass die Branche sich in einem Spannungsfeld befinde. Besonders in der Gourmetküche seien die Gewinnmargen mit durchschnittlich einem Prozent sehr gering. Preiserhöhungen wiederum könnten die Kundschaft abschrecken. Viele Spitzenrestaurants müssen aus wirtschaftlichen Gründen schliessen.

Mobbing und fliegende Pfannen betrachtet Imhof als Einzelfälle, betont aber die zunehmende Sensibilisierung und die Notwendigkeit eines anständigen Umgangs mit den Mitarbeitenden für langfristigen Erfolg. Gastrosuisse setze sich zudem für den Schutz von Lernenden und die bessere Ausbildung von Lehrmeisterinnen und Lehrmeistern ein.

Die Branche steht jetzt vor der Aufgabe, einen Weg zu finden, der sowohl den hohen Qualitätsansprüchen gerecht wird als auch faire und nachhaltige Arbeitsbedingungen für ihr Personal sicherstellt, um langfristig attraktiv und zukunftsfähig zu bleiben. Die Spitzengastronomie wird künftig nicht nur an den Gerichten, sondern auch an der Art und Weise gemessen werden, wie diese entstehen.

SRF 2, rec, 1.12.2025, 22:30 Uhr; sten

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