Im Schweizer Wald sind die Immissionen seit 60 Jahren zu hoch, in einzelnen Seen seit 40 Jahren. Die politischen Massnahmen gegen die Verschmutzung kosten Hunderte Millionen Steuergelder, ohne das Problem zu lösen – und ausser der Natur trägt niemand die Konsequenzen.
So schädigt zu viel Gülle Seen, Luft, Wälder und Grundwasser
Ein Ort, um die Umweltprobleme der Schweizer Fleischproduktion aufzuzeigen, ist das Luzerner Mittelland: Im Gebiet rund um den Baldegger-, Sempacher- und Hallwilersee (AG) ist seit den 1960er-Jahren ein «Schweinevalley» mit Tierhaltern, Futtermühlen, einer Besamungsfirma, Gülle- und Schweinetransporteuren und Schlachthöfen entstanden.
Jährlich bis zu 2.5 Milliarden Franken externe Kosten
Mit der intensiven Landwirtschaft neben sensitiven Seen stehen schätzungsweise eine Milliarde jährlicher Umsatz der Schweineindustrie Umweltschäden gegenüber, die seit 40 Jahren mit technischen Massnahmen in Schach gehalten werden, ohne sie zu beheben. Bisher haben die Steuerzahlenden für die Sanierung der drei Seen rund 130 Millionen bezahlt.
Insgesamt verursacht die Landwirtschaft laut Akademie der Naturwissenschaften Schweiz jährlich bis zu 2.5 Milliarden Franken externe Kosten durch die schädlichen Auswirkungen von Ammoniak, Stickoxiden, Nitrat und Lachgas.
Was macht die Politik dagegen?
Ein Blick auf das Beispiel Ammoniak aus der Gülle zeigt
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Es floss zwar enorm viel Steuergeld, erreicht wurde aber nur sehr wenig.
Umweltziele seit 1999 verpasst
Der Appell des Bundesrats klingt hochaktuell: «Damit die Luftreinhalteziele erreicht werden können, sind beim Ammoniak (Hauptverursacher Landwirtschaft) zusätzliche wirkungsvolle Massnahmen nötig». Aber er stammt von 1999.
Umweltministerin Ruth Dreifuss forderte im Namen des Bundesrates: 40 bis 50 Prozent weniger Ammoniak-Emissionen als 1995; das heisst rund 23’000 Tonnen pro Jahr. Allerdings sind es heute immer noch 41'000 Tonnen jährlich – also 44 Prozent zu viel. «Rund 75 Millionen Franken verpuffen jährlich in der Luft!», sagt Agrarökologie-Experte Franz Xaver Stadelmann. So viel nämlich kostet der Stickstoffanteil im Kunstdünger.
Rund 75 Millionen Franken verpuffen jährlich in der Luft!
Heutzutage berufen sich alle auf das Umweltziel 2008 von 25'000 Tonnen Ammoniak. Es ist aber genauso unverbindlich wie die agrarpolitischen Etappenziele mit Fristen. Kein Reduktionsziel der letzten 15 Jahre wurde erreicht. Sanktionen gibt es nicht.
«Zutiefst unredlich», sagt Hansueli Gujer, damals Agrarexperte im Bundesamt für Umwelt (BAFU). Als er seinen Kollegen im Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) 2020 mit den nicht erreichten Zielen konfrontierte, habe dieser ihn ausgelacht. «Das war der Zynismus des Systems», sagt Gujer.
Druck kam erst mit den abgelehnten Agrarinitiativen. Nun gibt es erstmals ein verbindliches Reduktionsziel, wenn auch nur für Stickstoff (70 Prozent stammen vom Ammoniak): Der Bundesrat wollte 20 Prozent weniger bis 2030, das Parlament verwässerte auf 15 Prozent.
Wie reduziert man Ammoniak-Emissionen? Der Bund setzt vor allem auf den Schleppschlauch. Er bringt Tiergülle bodennah auf dem Acker aus. Damit entweicht rund 30 Prozent weniger Ammoniak in die Luft als mit dem Breitverteiler, der die Gülle in alle Himmelsrichtungen verspritzt.
Der Einsatz des Schleppschlauch wurde von 2008-2021 mit Subventionen gefördert, dazu wurden von 2008-2019 noch andere emissionsmindernde Massnahmen wie das Abdecken von offenen Güllensilos und stickstoffreduziertes Tierfutter subventioniert.
Recherchen von SRF DOK zeigen: Rund 240 Millionen Franken Steuergeld wurden bezahlt, das Umweltziel wurde dennoch weit verfehlt. Die Ammoniak-Emissionen aus der Landwirtschaft sanken nur um knapp zehn Prozent . Trotz Dutzenden Steuermillionen sind sie immer noch 40 Prozent zu hoch.
Rund 240 Steuermillionen für ein weit verfehltes Umweltziel
Die Teilnahme an den Subventionsprojekten war für die Bauern freiwillig. Sie setzten den Schleppschlauch nur auf rund einem Drittel der begüllten Fläche ein. Schweizweit wird der Schleppschlauch erst 2024 obligatorisch. Erstaunlich spät.
Recherchen von SRF DOK zeigen: Schon 1992 wurde der Schleppschlauch in der Schweiz in Serie verkauft. Seit 1996 ist die Technik auf dem heutigen Stand. 2006 forderten zehn kantonale Umweltämter, dass der Schleppschlauch obligatorisch wird. Das heisst: Bauern sollten nur noch Direktzahlungen bekommen, wenn sie mit dem Schleppschlauch güllen.
Der Bundesrat wollte damals aber nichts von einem Zwang wissen. Die Absage an die Kantone kam vom damaligen Umweltminister Moritz Leuenberger. Stattdessen machte er den Kantonen freiwillige Ressourcenprojekte beliebt. So könnten Massnahmen gemäss dem «regionalen Handlungsbedarf» gefördert werden.
«Die Freiwilligkeit als Prinzip kommt an ihre Grenze»
Seit 2008 stehen die Ressourcenprojekte im Gesetz. Eigentlich geht es darum, eine technische Innovation durch die Bauern testen zu lassen. Im Fall des Schleppschlauchs aber wurde dieselbe Innovation in 20 Kantonen während insgesamt elf Jahren getestet – und vom Bund zu 80 Prozent subventioniert. Also fast flächendeckend, aber eben freiwillig. Die Konferenz der kantonalen Umweltämter schrieb: «Es fragt sich, ob diese Gesetzesänderung überhaupt Sinn macht.»
Ein paar Jahre später war die Euphorie auch im Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) verflogen: «Die Freiwilligkeit als Prinzip kommt an ihre Grenze», heisst es in einem Protokoll von 2016. SRF DOK konnte es durch das Öffentlichkeitsgesetz herausverlangen.
Man müsse davon ausgehen, dass ein Grossteil der Projekte die kantonal gesteckten Reduktionsziele nicht erreiche. Im Thurgau zeige sich, dass viele Bauern nach Abschluss des Ressourcenprojekts nicht mehr mit dem Schleppschlauch güllen. Schlussfolgerung: «Würde via Luftreinhalterecht der Einsatz von Schleppschlauchverteilern als Stand der Technik von allen gefordert, würde die Wirkung besser weitergehen.» Das Schleppschlauch-Obligatorium kommt aber erst 2024, acht Jahre nach dieser Feststellung.
Dazwischen wurden von 2014 bis 2021 «Ressourceneffizienz-Beiträge» ausgerichtet: Subventionen für alle Bauern, die freiwillig mit dem Schleppschlauch güllten. Faktisch eine Weiterführung der auf sechs Jahre befristeten Ressourcenprojekte, um die Bauern bei der Stange zu halten.
86 Millionen Steuerfranken wurden in den Ressourceneffizienz-Programmen ausgeschüttet, ohne dass ein Reduktionsziel vorgegeben wurde. Die Ammoniak-Emissionen sanken kaum weiter. Die eidgenössische Finanzkontrolle kritisierte die Effizienzbeiträge für den Schleppschlauch als «wenig effizient».
Bundesbeamte als «Erfüllungsgehilfen der Bauern»
Eine «amtlich tolerierte Umweltverschmutzung», kritisiert Chemiker und Umweltrechtsanwalt Hans Maurer. Anfangs der 2000er-Jahre seien viele Beamten des BLW die «Erfüllungsgehilfen der Bauern» gewesen. Das sagen übereinstimmend drei Experten, die damals mit der Ammoniak-Thematik befasst waren.
- Biophysiker Peter Künzler hatte in einem für das BAFU erstellten Bericht schon 2005 eine Schleppschlauch-Pflicht empfohlen: «Die freiwilligen Ressourcenprogramme waren unnötig» , sagt der Experte für Lufthygiene. Aber das BAFU habe vor dem BLW gekuscht.
- Hans Gygax, ehemaliger Chefbeamter im Umweltamt des Kantons Fribourg und früherer Präsident der Vereinigung der Lufthygiene: «Die Ressourcenprojekte waren das politische Instrument des Bundes, um die Bauern einzubinden. Der Schweizer Bauernverband hatte lange gebremst.»
- Roger Biedermann, ehemaliger Kantonschemiker und Leiter der «Projektgruppe Stickstoffhaushalt Schweiz» des Bundes: Anfangs der 2000er-Jahre wollte er ein Reduktionsziel für Stickstoff im Gesetz verankern. 2006 kam der Antrag ins Parlament. Landwirtschaftsministerin Doris Leuthard argumentierte «aus ordnungspolitischen Gründen» dagegen, weil die Kantone für den Vollzug zuständig seien. Das Parlament versenkte den Vorschlag. «20 Jahre schlechte Landwirtschaftspolitik» , sagt Biedermann heute. Und keine Besserung in Sicht.
«Die Bauern stehen über dem Gesetz»
Warum verharren die Ammoniak-Emissionen der Gülle auf hohem Niveau, währenddem jene von Stickoxid in den letzten 40 Jahren stark gesunken sind? Das liegt vor allem an der raschen Einführung des Katalysators in den 1980er-Jahren.
Damals war die Debatte ums «Waldsterben» in aller Munde, und die Angst der Bevölkerung war gross. 75 Prozent der Stickoxide stammten vom Verkehr und trugen zur Ozonbildung bei. Nebst kranken Bäumen fürchtete man um die Gesundheit der Kleinkinder. «Bei Massnahmen im Bereich Luft war der politische Widerstand darum am geringsten», erinnert sich Franz Xaver Stadelmann, damaliger Leiter des Instituts für Umweltschutz und Landwirtschaft.
1986 wurde die Luftreinhalteverordnung eingeführt und 1987 der Katalysator. Die Schweiz nahm europaweit eine führende Rolle ein. Ganz anders bei der Forschung zu Ammoniak aus der Gülle. «Die war schon damals unbeliebt», erinnert sich Stadelmann. Der damalige Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft, Jean-Claude Piot, wollte ihm 1986 sogar verbieten, über die negativen Auswirkungen der Gülle zu publizieren. «Die Bauern stehen über dem Gesetz», sagt der ehemalige BAFU-Experte Hansueli Gujer nüchtern.
Wir müssten 70 Prozent weniger Fleisch essen
Im Gegensatz zum Katalysator kann bei Ammoniak allein mit technischen Massnahmen das Umweltziel nicht erreicht werden. Die einzige Lösung ist ein politisches Tabu: Reduktion des Tierbestandes. Nur noch halb so viele Nutztiere fordern Experten wie Bernhard Wehrli, Professor der Gewässerchemie, und Biologin Sabine Braun, die die Schäden von Ammoniak in den Wäldern seit 40 Jahren untersucht.
Technische Massnahmen allein reichen nicht, sagen auch andere Forscher, die namentlich nicht genannt werden wollen, weil sie mit Bauern in ihren Projekten zusammenarbeiten.
Weil der Bundesrat aber nicht an der Quelle ansetzen und die Bevölkerung zum Fleischverzicht zwingen will, geht er das Thema durch die Hintertüre an: «Food statt Feed» heisst das Zauberwort der neuen Klimastrategie, die im September präsentiert wurde. Mehr Pflanzen für die menschliche Ernährung statt Tierfutter.
Heute wird auf rund 60 Prozent der Ackerfläche Tierfutter produziert. Neu soll zum Beispiel Mais für den Menschen statt fürs Schwein angebaut werden. Essen wir nämlich Schweinefleisch, kommen nur rund 10 Prozent der Pflanzenkalorien bei uns an.
Letztlich stehen wir Konsumentinnen und Konsumenten in der Verantwortung: Gemäss der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope müssten wir 70 Prozent weniger Fleisch essen, um die Umwelt weniger zu belasten. Konkret: Höchstens 45 Gramm Fleisch pro Tag.