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Skandinavisches Vorbild Was kann das Schweizer Gesundheitssystem von Dänemark lernen?

Die Schweiz habe zu viele Spitäler, wird oft gesagt. Trotzdem werden Kliniken in finanzieller Not häufig gerettet, was das Gesundheitswesen teurer macht. Dänemark hat die Hälfte seiner Spitäler geschlossen und die Spitalplanung zentralisiert – eine Idee, die auch in der Schweiz salonfähig wird.

«Man kann es nicht schönreden: Es ist ein Desaster», sagt Hansjörg Herren, Direktor des GZO Spitals Wetzikon. Sein Spital ist zahlungsunfähig. Der Konkurs droht.  

Wetzikon ist ein drastisches Beispiel, doch die finanziellen Schwierigkeiten sind in vielen Schweizer Spitälern ähnlich. Die Ursachen sind oft: nicht kostendeckende Tarife und teure Neubauten.

Viele Spitäler können nicht genügend Geld erwirtschaften, um den Betrieb und die Investitionen decken zu können. Dann werden sie geschlossen – oder gerettet. Etwa durch den Kanton, der Geld gibt. Das wollte auch das Spital Wetzikon.

Doch der Kanton Zürich sprach kein Geld. Das GZO Spital Wetzikon sei nicht unverzichtbar und eine Schliessung sei für die Gesundheitsversorgung der regionalen Bevölkerung verkraftbar. 

Gemeinden sollen Geld einschiessen

Spitaldirektor Hansjörg Herren sucht nun anderswo Geld, um sein Spital zu retten. Die umliegenden Gemeinden – Aktionäre des GZO Spitals Wetzikon – sollen zusammen 50 Millionen Franken einschiessen. Das Geld sei nötig, sagt Herren: «Das Konzept zeigt, dass es für eine Rettung einen Beitrag von allen braucht.»

Grosses mehrstöckiges Gebäude mit begrüntem Dach und Gerüst.
Legende: Die Baustelle beim Neubau des GZO Spitals Wetzikon steht seit über einem Jahr still, weil das Spital zahlungsunfähig und in Nachlassstundung ist. SRF

Zusätzlich zum Geld der Steuerzahlenden soll es einen grossen Schuldenschnitt geben. Die Gläubiger würden bis zu 70 Prozent ihrer Forderungen verlieren. Dazu kommen Sparmassnahmen im Spital. Für den Weiterbetrieb gibt es ein Konzept: Vorerst weitermachen wie bisher, mittel- bis langfristig in einen Verbund mit anderen Spitälern und Leistungserbringern in der Region eintreten.

Zudem will das Spital Wetzikon den Ertrag steigern – mit mehr stationären Patienten und Patientinnen. «Wir sind überzeugt, dass es realisierbar ist», sagt Herren. Etwa, weil er ein grosses Bevölkerungswachstum in der Region erwartet. 

Kampf gegen Überkapazitäten

Ganz anders sieht es Yvonne Bürgin. Sie ist Gemeindepräsidentin von Rüti sowie Nationalrätin und Fraktionspräsidentin der Mitte. Aufgrund der Ambulantisierung gebe es in Zukunft weniger stationäre Patientinnen und Patienten.

Bürgin kann nicht nachvollziehen, wie der Businessplan und der Weiterbetrieb aufgehen sollen. «Wir wissen, dass wir tendenziell zu viele Spitäler haben im Zürcher Oberland, mit Uster, Männedorf und Wetzikon.» Dass nun das Spital Wetzikon mit mehr stationären Patienten arbeiten wolle, sei ein typisches Schweizer Vorgehen, das neue Probleme schaffe. «Die Rechnung geht nicht auf: Wenn alle ausbauen, haben wir zu viele Betten. Diese Überkapazitäten verteuern das Spitalwesen.»

Potenzial der Ambulantisierung

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In der Schweiz werden im internationalen Vergleich nur wenige Eingriffe ambulant gemacht. Mehr als zweimal so viele wären bald möglich. Ein Sparpotenzial in Milliardenhöhe. Doch dieses wird wegen Fehlanreizen nicht ausgeschöpft: Spitäler verlieren Geld, wenn sie Operationen ambulant durchführen.

Deshalb machen fast alle Spitäler manche Operationen stationär, auch wenn sie ambulant möglich oder gar besser wären – und es für die Gesellschaft günstiger wäre.

Die einheitliche Finanzierung von ambulant und stationär (EFAS) soll das Problem lösen. Das Spitalzentrum Biel beispielsweise möchte schneller vorangehen. Mit dem Kanton Bern hat es ein spezielles Modell entwickelt, wie die Ambulantisierung für die Spitalfinanzen funktionieren und den Kanton weniger kosten soll.

Ende November stimmen die Aktionärsgemeinden des Spitals Wetzikon über die insgesamt 50 Millionen Franken ab. Während sich der Abstimmungskampf zuspitzt, treffen sich Yvonne Bürgin und Hansjörg Herren im unfertigen Neubau – dieser steht am Ursprung des drohenden Konkurses und es ist umstritten, wie es mit ihm weitergehen soll.

«Die Zukunft des Spitals Wetzikon ist zu wenig klar», sagt Bürgin, deshalb sei es schwierig, der Stimmbevölkerung ein Ja zur Finanzspritze zu empfehlen. «Jetzt heisst es vom Spital: Gebt Geld und wir schauen dann, was wir damit machen. Doch in der Vergangenheit wurde viel Geld verbrannt.» Herren kontert: «Es ist sinnvoll, verschiedene Optionen zu prüfen. Es kann für den Stimmbürger nur besser werden. Die Risiken werden minimiert. Es ist ein Prozess. Da müssen wir weiterdenken.»

Sollen wir Spitäler überhaupt retten?

Unabhängig vom GZO Spital Wetzikon sind sich viele Expertinnen und Experten einig, dass die Schweiz zu viele Spitäler hat. «Es würde weniger kosten und die Qualität könnte noch besser werden, wenn kleinere Spitäler aufgegeben würden», ist Gesundheitsökonom Stefan Felder überzeugt.

Für David Schwappach, Professor für Patientensicherheit, ist die Zeit der kleineren Regionalspitäler vorbei: «Die Medizin ist zu komplex. Die Patienten sind zu komplex. Die Technik ist zu komplex.»

Porträtaufnahme von David Schwappach, Professor für Patientensicherheit
Legende: David Schwappach erklärt, dass kleinere Regionalspitäler nicht das ganze Spektrum anbieten könnten. SRF

Weniger und dafür grössere Spitäler seien für die Patientinnen und Patienten besser. Deshalb sieht Schwappach manche Spitalrettungen skeptisch: «Ich habe oft das Gefühl, dass man immer mehr Geld investiert in ein nicht besseres Konzept. Aber: Wenn sich die Dinge nicht ändern, wieso soll dann zusätzliches Geld das Problem lösen?»

Neue Ideen: integrierte Versorgung

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In der Schweiz schauen viele Leistungserbringer für sich selbst. Eine Kritik: Es wird zu viel gemacht – denn je mehr ein Leistungserbringer macht, desto mehr kann er verrechnen.

Das Réseau de l'Arc im Jurabogen will dem mit der integrierten Versorgung entgegenwirken. Hier werden die medizinischen Leistungen koordiniert. Dafür gibt es ein Gesamtbudget, das für alle Menschen im Pilotprojekt reichen muss. Laut Réseau de l'Arc verbessere das die Qualität. Gesundheitsökonom Felder sieht in der integrierten Versorgung grosses Sparpotenzial.

Es ist ein gemeinsames Projekt des Kantons Bern, der Privatklinikgruppe Swiss Medical Network und der Krankenkasse Visana.

Da diese drei Akteure zu je einem Drittel beteiligt sind, sind sie gezwungen, gemeinsam Lösungen zu finden. Andernorts kann man beobachten, dass sich die verschiedenen Akteure teils kritisieren oder gegenseitig die Schuld zuschieben.

Das Modell Dänemark

Spannend ist ein Vergleich mit Dänemark. Das Land ist etwas grösser als die Schweiz, hat etwas weniger Einwohnerinnen und Einwohner, einen ähnlichen Lebensstandard und abgelegene Inseln statt abgelegener Täler.

Dänemark hat eine radikale Gesundheitsreform hinter sich, für die es sogar die politische Organisation des Landes änderte. Nur noch 5 statt 14 Regionen und eine zentralisierte Spitalplanung. Die Reform schloss rund die Hälfte der Spitäler – welche, wurde von oben herab entschieden.  

Superspitäler statt Regionalspitäler

Zu Besuch im Spital Gødstrup, gebaut auf der grünen Wiese und an einem strategisch sinnvollen Ort. Dänemark schloss nicht nur Spitäler, es baute auch neue und grössere – als Ersatz für mehrere kleinere. Mikkel Seneca ist Chefarzt der Notaufnahme des neuen Spitals und Fan des dänischen Modells.

Früher waren die kleineren Spitäler, welche die Region abdeckten, jeweils spezialisiert auf einzelne Krankheitsbilder. Auch wenn diese in einem Verbund zusammengearbeitet hätten, sei das weniger gut als das neue grosse Spital, welches praktisch alle Krankheiten und Unfälle therapieren kann.

«Das Problem ist, dass die Patientinnen und Patienten nicht immer in die Schubladen passen, die wir gerne haben. Manchmal sind wir in unserer ersten Annahme falsch. Dann hat man plötzlich einen Patienten in einem Spital, das diese Krankheit nicht behandeln kann. Oder man hat Patientinnen mit mehreren Krankheiten. Diese bräuchten verschiedene Spezialisten. Doch diese sind dann in verschiedenen Spitälern.» Deshalb ist auch Mikkel Seneca der Meinung, dass die Zeit der kleineren Regionalspitäler vorbei ist. 

Dänemark als Vorbild für die Schweiz?

In der Schweiz gibt es pro Kopf fast doppelt so viele Spitalbetten wie in Dänemark. Und die Spitallandschaft ist stark fragmentiert. Anstatt 5 Regionen wie in Dänemark gibt es 26 Schweizer Kantone, die grösstenteils für sich selbst planen – und oft nicht über die Kantonsgrenzen hinausdenken.

Machen wir das Gedankenexperiment: Was wäre, wenn die Schweiz in fünf Gesundheitsregionen unterteilt würde, die ohne Kantönligeist die Spitäler so planen, dass es für die Bevölkerung die beste Qualität gibt – also deutlich weniger Spitäler, dafür grössere? «Aus fachlicher Sicht ist das auf jeden Fall eine Möglichkeit», sagt Patientensicherheits-Experte Schwappach. «Es gibt sehr viele Gründe, die für eine Zentralisierung sprechen.»

Gesundheitsökonom Stefan Felder findet die dänische Reform hervorragend. Dänemark hat die Hälfte der Spitäler geschlossen. In der Schweiz hiesse das: von rund 100 Akutspitälern runter auf 50.

Laut Felder könnte die Schweiz sogar noch mehr schliessen: «Wir könnten runter auf 30 Spitäler. Das wäre entsprechend der Bevölkerung eine gleiche Reduktion wie in Dänemark.»

Bessere Koordination in der Spitalplanung ist auf dem Weg

Allerdings habe die Schweiz mit den Bergen eine anspruchsvollere Topografie, deshalb könne die Schweiz 40 Spitäler betreiben. Doch hätten die Menschen dann noch schnell genug Zugang zu einem guten Spital? «Ja», sagt Felder. «Die Qualität der Versorgung würde sogar noch zunehmen. Das hat man in Dänemark erreicht und insofern sollte man das in der Schweiz auch machen.»

Vorerst geht es in der Schweiz ohne radikale Schritte in diese Richtung. In Bundesbern sind zwei Vorstösse hängig, die eine bessere Koordination in der Spitalplanung fordern: Wenn es die Kantone nicht schaffen, miteinander zu planen, soll der Bund einspringen. Und die Anzahl Spitäler hat sich in den letzten Jahren langsam, aber stetig verringert.

SRF 1, DOK, 6.11.2025, 20:05 Uhr; sten

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