1. Das erste Hörspiel: Wilhelm Tell
Das erste Schweizer Hörspiel wurde am 3. Januar 1925 gesendet. Die Mitglieder der «Freien Bühne Zürich» spielten es live vor dem Mikro ein – dem einzigen Mikro, das Radio Zürich damals besass. Nach einer halben Stunde war der Zauber vorbei. Was sich auch gut traf, denn das sogenannte Kohlemikrofon begann nach gut 30 Minuten zu verstummen und musste erst wieder kräftig geschüttelt werden.
Ob es Zufall war, dass gerade «Wilhelm Tell» als erstes gesendet wurde? Mit dem Hörspielhistoriker Paul Weber könnte man augenzwinkernd sagen: Für so ein Ereignis von nationaler Bedeutung wie das erste Schweizer Hörspiel – da war der «Tell» gerade gut genug.
2. Dürrenmatt & Frisch hatten ihren Durchbruch dank dem Hörspiel ...
Mit «Biedermann und die Brandstifter» landete Max Frisch 1958 einen Riesenerfolg am Theater – zuerst hatte er das Stück aber als Hörspiel geschrieben, das schon 1953 gesendet wurde! Drei Jahre später wurde «Die Panne» von Friedrich Dürrenmatt als Hörspiel produziert, bevor sie für Leinwand, Bühne und als Erzählung adaptiert wurde. So war das Hörspiel Geburtshelfer für zwei Klassiker der Weltliteratur.
3. ... aber nicht dank SRF
Und jetzt wird es leider ein bisschen peinlich: Sowohl der «Biedermann» als auch «Die Panne» wurde nicht von SRF erstgesendet – sondern vom Bayerischen Rundfunk. Der Grund ist ganz prosaisch: Die deutschen Sendern zahlten viel besser!
Das war durchaus wichtig: Denn sowohl Frisch als auch Dürrenmatt waren damals noch recht knapp bei Kasse und froh um gut bezahlte Aufträge (so kam Dürrenmatt ja auch zum Krimi-Schreiben, aber das ist eine andere Geschichte).
Doch das Gute ist: SRF zog jeweils einige Monate später nach und produzierte eigene Fassungen von beiden Hörspielen, die den deutschen Sender in nichts nachstehen.
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Bild 1 von 1. Die Panne. Dürrenmatt im Pool. Bildquelle: Picture Press / Herbert Peterhofen.
4. Hörspiele machen Spass
Bei SRF und seinen Vorgängern wurde Hörspiel nicht nur einmal erfunden, sondern mindestens dreimal: In den drei verschiedenen Abteilungen Kultur, Folklore und Unterhaltung. Deswegen gibt es nicht nur Literatur zum Hören von Dürrenmatt & Frisch, sondern auch Mundart-Hörspiele über Land & Leute sowie Krimis & Komödien.
Humor spielte dabei von Anfang eine grosse Rolle. Im «Fünflampenapparat» – dem ersten Text, der extra fürs Hörspiel geschrieben wurde – kriegte sich 1926 eine Familie über die Bedienung des neuen Radiogeräts in die Haare: Bis der Familienvater das Radio zertrümmert. Zum grossen Vergnügen der Hörerschaft.
Bis heute dürfen Hörspiele lustig sein, so zum Beispiel in komischen Serien über Beethoven, den Hof von Versailles oder Vögel:
Lustige Hörspiele
5. Eines der besten Hörspiele überhaupt wurde von einer Sekretärin geschrieben
Das Hörspiel «Falsch verbunden» spielt nur am Telefon: Eine Frau wird falsch verbunden und hört zufällig mit, wie ein Mord geplant wird. Sie versucht, die Polizei und ihren Mann zu erreichen, doch vergeblich. Bald schwant ihr: Da wird ihr eigener Mord geplant ...
Geschrieben hat es Lucille Fletcher. Sie arbeitete in den 30er Jahren beim amerikanischen Sender CBS als Maschinenschreiberin. Dort musste sie immer und immer wieder Hörspielmanuskripte abtippen – und hat so gelernt, was einen guten Hörspieltext ausmacht.
1943 wurde «Falsch verbunden» gesendet und zu einem grossen Erfolg. Orson Welles rühmte es als bestes Hörspiel aller Zeiten (und der musste es wissen, hat er doch mit dem «Krieg der Welten» die Amerikaner vor den Radiogeräten in Angst und Schrecken versetzt).
In den Hörspielredaktionen von SRF verfolgt man schon von Anfang an, was im Ausland produziert wurde. Deswegen gibt es «Falsch verbunden» auch in einer tollen Fassung von SRF:
5. Vom Radio ins Kino
«Maloney» im Kino? Als man begann, die Kult-Hörspiele zu verfilmen, war die Neugier gross: Geht das denn überhaupt?
Dabei ist der Sprung auf die grosse Leinwand gar nicht ungewöhnlich. Autor und Schauspieler Schaggi Streuli beispielsweise hatte in den fünfziger Jahren so viel Erfolg mit seinen Hörspielreihen «Polizischt Wäckerli» und «Oberstadtgass», dass er auch in den Verfilmungen die Hauptrolle spielen konnte.
Regie führte dabei übrigens Kurt Früh. Seinen eigenen filmischen Durchbruch «Bäckerei Zürrer» produzierte er parallel auch als Hörspiel. Und Frühs «Dach überem Chopf» reüssierte erst im Radio, bevor es als ernstes Sozialdrama im Kino überzeugte.
7. Früher gab es Strassenfeger ...
Bei Krimiserien wie «Mein Name ist Paul Cox» oder «Dickie Dickens» haben sich die Leute vor den Radioapparaten versammelt – und die Strassen waren wie leergefegt. Dank spannender Geschichten, charmanten Darstellern wie Hans-Helmut Dickow und dem Swing vom Unterhaltungsorchester Beromünster.
8. Heute hört man beim Strassenfegen
Diese goldenen Zeiten des Radios sind vorbei. Aber auch die Zukunft des Hörspiels glänzt: Dank Podcasts kann man Hörspiele hören, wann und wo man will. Nicht nur beim Strassenfegen, sondern auch im Fitness oder auf dem Sofa: Moderne Hörspielserien bieten Netflix fürs Ohr.
Dazu präsentiert SRF immer wieder Perlen aus dem Archiv. Denn wenn ein Blick in 100 Jahre Schweizer Hörspiele eins gezeigt hat, dann das: Hörspiele haben kein Verfallsdatum.
10. Das neuste Hörspiel: «Repeat»
Im Hörspiel «Repeat» wird fünf mal der selbe Dialog gespielt, Wort für Wort. Doch dabei kommen fünf verschiedene Geschichten heraus: Zwei Kerle, die ein Auto stehlen und einbrechen. Eine Frau, die im Spital Sterbehilfe leisten will. Eine Sitcom.
Und all das nur, weil die Schauspieler immer mit einer anderen Haltung sprechen, weil die Geräusche und Musik die Szene an einem anderen Ort spielen lassen. Weil all die Hörspielmittel jedes Mal anders benutzt werden.
«Repeat» ist ein Hörspiel über den Zauber des Hörspielmachens: Gäbe es dann eine passendere Produktion, um ein so ein Ereignis von nationaler Bedeutung zu feiern, wie 100 Jahre Schweizer Hörspiel?