Wolfram, nimm uns mit ins Jahr 1925: Wie startete das Hörspiel in der Schweiz?
Im August 1924 nahm Radio Zürich den Betrieb auf – und kein halbes Jahr später, am 3. Januar 1925 wurde das erste Hörspiel gesendet: ein «Wilhelm Tell». Die Live-Übertragung eines Theaterstücks aus dem Studio zeigte, das revolutionäre Medium Radio konnte viel mehr als Musik und Nachrichten. Aufbruchstimmung!
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde in den Studios in Zürich, Basel und Bern laufend ausprobiert, was Fiktion im Radio sein kann. Eines war klar: Radio und Audio ist das ideale Medium, um Geschichten zu erzählen. Und das hat sich bis heute nicht geändert.
Was macht das Schweizer Hörspiel aus?
Spannend finde ich, dass das Hörspiel hier mindestens drei Mal erfunden wurde: Bei den Vorgängern von SRF nicht nur in dem, was wir heute Kultur nennen, sondern auch in der Unterhaltung und der sogenannten Folklore. Und das prägt das Hörspiel bei SRF bis heute: die Bandbreite von literarischen Hörspielen über Krimi-Strassenfeger bis zu Geschichten nah am echten Leben – auf Hochdeutsch und auf Mundart.
Was hat sich für Macherinnen und Macher in 100 Jahren verändert?
Die ersten Hörspiele wurden live aufgeführt – wie Theater fürs Mikrofon: Die ganze Schauspiel-Crew war im Aufnahmeraum und die Geräusche mussten live im richtigen Moment erzeugt werden, zum Beispiel mit der Windmaschine.
Heute nimmt man Szene für Szene separat auf, und Schnitt, Montage, Postproduktion laufen digital ab. Die Möglichkeiten sind fast grenzenlos. Dazu ging die Entwicklung von Mono über Stereo bis zum 3D- oder Surround-Hörspiel.
Und was hat sich fürs Publikum getan?
Das mediale Angebot ist heute viel grösser. Allein Fiktion gibt es in Streams, Fernsehen, Videospielen, Webcomics und so weiter. Gleichzeitig kann man dank Podcasts und Kopfhörern Hörspiele unterwegs nutzen, im Fitness oder beim Kochen. Die Leute müssen sich allerdings aktiv für einen Hörspiel-Podcast entscheiden. Wir kommen dem entgegen: mit Themen, Erzählformen oder der Präsentation durch Hosts.
Sind denn frühere Hörspiele fürs heutige Publikum noch «hörbar»?
Das Tolle ist: Hörspiele haben kein Verfallsdatum. Eine Krimi-Serie wie «Paul Cox» aus den 1960ern kommt heute noch genauso gut an; mein 13-jähriger Sohn zum Beispiel bingt sie weg wie nichts. Da sitzt SRF wirklich auf einem Schatz – unser Hörspielarchiv ist ein akustisches Gedächtnis der Schweiz. Und das machen wir zugänglich. Im Radio und in unseren Podcasts.
Welche Rolle spielt das Hörspiel damals wie heute für den Kulturauftrag von SRF?
Meiner Meinung nach eine sehr grosse. Ohne SRF gäbe es in der Schweiz kein professionelles Hörspiel: Wir tragen hier eine ganze Kunstgattung. Gäbe es SRF nicht mehr oder kein Hörspiel mehr bei SRF, dann wäre das in etwa so, als würde man im Bereich Theater alle städtischen und kantonalen Bühnen aufs Mal schliessen.
Umgekehrt zahlt Hörspiel auch auf die Literaturförderung ein, die in der Konzession von der SRG festgeschrieben ist. Denn wir fördern Autorinnen, Schauspieler und Musikerinnen, indem wir sie engagieren. Und diese Kulturschaffenden erreichen im Hörspiel viel mehr Menschen als auf der Bühne oder mit einem Roman.
Wie wollt ihr die Hörerinnen und Hörer mitreissen, mit euch 100 Jahre Schweizer Hörspiel zu feiern?
Am Mittwoch, 3. September 2025 feiern wir mit einem Thementag ab 7 Uhr auf Radio SRF 1, SRF 2 Kultur und digital – mit viel Spannendem und Kuriosem, Rückblicken und Einblicken. Und natürlich gehören eine ganze Menge Hörspiele zu unserem runden Jubiläum. Bis Ende Oktober präsentieren wir darum im Radio und via Podcast die besten Schweizer Hörspiele aus 100 Jahren.