Trotz grosser Verspätungen oder Annullationen weisen die Swiss, aber auch andere Airlines immer wieder Passagiere ab, die in der Schweiz eine Entschädigung gemäss der EU-Fluggastrechteverordnung einfordern. Bei manchen Fällen sind Fluggastrechts-Spezialisten überzeugt, dass jene Passagiere die Entschädigung zugute hätten. So zum Beispiel auch eine junge Familie aus dem Berner Oberland, über die SRF kürzlich berichtete.
Zuerst sagt man mal Nein, dann lässt es bereits ein gewisser Prozentsatz der Leute sein.
Namentlich die Swiss wimmle Kundinnen und Kunden, welche die Entschädigung beantragen, systematisch ab. Das sagen ein Vielflieger, der sich bei SRF gemeldet hat, und der Reiserechtsexperte Reto Ineichen von der Hochschule Luzern. «Zuerst sagt man mal Nein, dann lässt es bereits ein gewisser Prozentsatz der Leute sein», stellt Ineichen fest.
Jener Vielflieger ist seit Jahrzehnten beruflich mit der Swiss unterwegs. Er arbeitet als Anwalt und sagt, er habe nachweislich schon mehrfach nach einem abgelehnten Antrag die Entschädigung bekommen. «Ich muss nur sagen: Wir treffen uns vor Gericht. Dann geht es schnell.» Wobei es oft schon reiche, den Friedensrichter einzuschalten. Er ist sich bewusst, dass er privilegiert ist: «Wer einen juristischen Hintergrund und die finanziellen Mittel hat, kommt einfacher zu seinem Recht als ein normaler Fluggast. Das ist nicht in Ordnung.»
Die Swiss dementiert
Die Airline dementiert den Vorwurf, sie würde systematisch Entschädigungen abweisen. «Wenn nach einer Annullierung oder Verspätung ein Anspruch auf eine Entschädigung im Sinne der EU-Fluggastrechteverordnung besteht, kommen wir diesem selbstverständlich nach», erklärt Mediensprecherin Meike Fuhlrott. So habe man zum Beispiel im Jahr 2023 rund zwölf Millionen Franken solcher Entschädigungen ausbezahlt.
Konsumentenfreundliche, europäische Rechtsprechung
Doch es gibt eben auch viele Fälle, in denen nichts kommt. In ihren Begründungen verweist die Airline oft auf einen nicht vermeidbaren, «aussergewöhnlichen Umstand», wonach die Entschädigung nicht geschuldet sei. Streng nach den Buchstaben der EU-Verordnung mag das korrekt sein. Unterdessen gibt es aber im europäischen Raum mehrere Gerichtsurteile – darunter auch vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) – welche die Verordnung konsumentenfreundlicher auslegen.
Reiserechtsexperte Reto Ineichen fasst es so zusammen: «Allgemein gesagt ist alles, was zu den normalen Risiken des Flugbetriebs zählt, kein aussergewöhnlicher Umstand.» Demnach müsste es etwa für eine grössere Verspätung nach einer Triebwerkpanne – so wie bei jener Berner Familie – eine Entschädigung geben. SRF weiss: Eine andere Forderung aus genau diesem Flug wurde gutgeheissen.
Swiss: «Nicht verbindlich in der Schweiz»
Der Europäische Gerichtshof weiche in seiner Rechtsprechung teils weit vom Wortlaut der Fluggastrechteverordnung ab, so die Swiss-Sprecherin: «Diese Praxis ist in der Schweiz nicht verbindlich, sorgt aber immer wieder mal für falsche Annahmen.»
Tatsache ist: In der Schweiz fehlt ein konsumentenfreundliches Leiturteil. Ein solches scheue die Swiss, deshalb gebe sie schnell nach, wenn man die Absicht zeige, den Rechtsweg zu beschreiten, ist der erwähnte Swiss-Kunde überzeugt. Auch dies weist die Airline zurück. Man nehme immer wieder an Schlichtungsverhandlungen teil. Aber: Ein Prozess könne sehr kostspielig werden, «weswegen dieser Schritt grundsätzlich gut abgewogen sein will.»