Noch siezen sich der 23-jährige Loïc Etter und sein Mitbewohner Hans Müller, 99. «Wir könnten ja mal anstossen», meint der Senior mit einem verschmitzten Lachen, als sich die Reporterin nach ihren Umgangsformen erkundigt. Die beiden leben seit zwei Jahren unter einem Dach, in einem städtischen Altersheim. Die Lage des Bürgerasyl-Pfrundhaus ist einmalig: in der Stadt Zürich, gleich neben der Polyterrasse der ETH.
Was 2019 als Versuch startete, ist in der Stadt Zürich seit 2023 fest eingeführt: Vier städtische Gesundheitszentren für das Alter bieten Zimmer für Studierende. Im Moment leben 11 Studentinnen und Studenten in diesen Altersheimen, drei davon im Pfrundhaus.
Je mehr Einsatz, desto weniger Miete
Das Konzept: Studierende bezahlen 700 Franken pro Monat für ihr Zimmer. Wenn sie aber bis zu 28 Stunden pro Monat mithelfen, etwa mit Bewohnenden einen Ausflug unternehmen, Spielabende organisieren, oder einem Senior bei Computerfragen weiterhelfen, dann reduzieren sich die Mietkosten. Sind 28 Stunden im Rapport erreicht, reduziert sich die Miete gar auf null.
«Die Leute hier können gut von früher erzählen»
Loïc Etter studiert an der ETH Zürich Gesundheitswissenschaften und Technologie. Er sei aber auch schon immer historisch interessiert gewesen, erzählt er. Dass er vor zwei Jahren im Café des Altersheims Hans Müller kennenlernte, sei ein Glücksfall gewesen. «Er wusste sofort, wo ich in Bern zur Schule ging, weil sich dort Skulpturen befinden, die er vor vielen Jahren fotografiert hatte.» Und er habe ihm aus seinem Fundus ein entsprechendes Fotobuch geschenkt.
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Bild 1 von 2. Fast 80 Jahre liegen zwischen Loïc Etter, ETH-Student und Hans Müller, ehemaliger Typograf: «Unser Zusammenwohnen ist eine Bereicherung». Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 2. Als Nächstes planen die beiden einen Museumsbesuch. Der 23-jährige Student erhält für sein Engagement im Altersheim eine Mietreduktion. Bildquelle: SRF.
Der 99-jährige Senior lächelt: «Ich habe jahrelang in der Zürcher Zentralbibliothek gearbeitet und hatte immer Studenten um mich herum». Als Nächstes würde er gerne einen Ausflug ins Landesmuseum mit seinem jungen Mitbewohner unternehmen. «Gut, das machen wir. Ich trage es mir ein», freut sich der Student.
Abschied und Tod sind keine Tabus
Anders als in einer Studenten-WG sei der endgültige Abschied hier allgegenwärtig, erzählt Loïc Etter: «Die Menschen hier haben einen offenen Umgang mit dem Thema Tod. Sie wollen den Tod nicht verschweigen», und das mache es für ihn viel leichter. So fänden auch Gespräch darüber statt.
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Es gibt aber auch Themen, die wie in einer Studenten-WG allgegenwärtig sind: Wer kocht wann in der Gemeinschaftsküche? Oder wie organisiert man den Waschplan in der Waschküche? «Hier heisst es wie überall: Tolerant und flexibel sein», schmunzelt der junge Mann. Und der Senior merkt an, dass der Lärm am Vorabend etwa nicht von den Jungen gekommen sei: «Der TV der Seniorin im Zimmer oben von mir lief so laut, dass das ganze Haus zitterte!»