Karla geniesst den Sommer auf ihrem Gartensitzplatz. Doch im Garten ihrer Nachbarin spriessen Rosensträucher in die Höhe und ragen auf ihre Seite herüber. Karla hat sich an den scharfen Dornen schon verletzt.
Deshalb greift sie zur Gartenschere und schneidet die überragenden Zweige ab. Die Nachbarin kocht vor Wut und schreit Karla an, was ihr da einfalle! Was zu ihr herüberwachse, dürfe sie abschneiden, beharrt Karla. Doch: darf man Büsche von Nachbarn stutzen? Darf man das?
Die Antwort
Nein. Herüberwachsende Pflanzen oder Wurzeln dürfen Nachbarinnen und Nachbarn nur schneiden, wenn die folgenden beiden Voraussetzungen erfüllt sind:
Ohne Vorwarnung zur Schere greifen ist heikel
- Die Pflanzen müssen das Eigentum der Nachbarin oder des Nachbarn schädigen: Das ist der Fall, wenn die Pflanzen zum Beispiel zu viel Laub oder Nadeln abwerfen und dadurch eine Leitung verstopfen oder wenn ein Baum übermässig Schatten wirft und dadurch die Wohnqualität der Nachbarinnen und Nachbarn beeinträchtigt. Tropfendes Harz oder Tannenzapfen mögen lästig sein, haben in aller Regel aber keine Schädigung des Eigentums zur Folge. Das Gleiche gilt bei den Zweigen des Rosenstrauchs, die in Karlas Garten überragen. Sie mögen lästig sein, aber kaum als schädigend zu qualifizieren. Karla könnte sie zurückbinden oder Abstand halten.
- Frist setzen: Bevor Karla zur Schere greift, muss sie ihre Nachbarin auffordern, den Rosenstrauch zu stutzen und ihr dafür eine angemessene Frist setzen. Angemessen bedeutet: Die Nachbarin muss genügend Zeit haben, um zum Beispiel einen Gärtner aufzubieten. Diese Vorschrift hat Karla nicht beachtet. Die Nachbarin könnte deshalb theoretisch gegen Karla vorgehen und Schadenersatz geltend machen.
Kapprecht gilt nur für Eigentümerinnen und Eigentümer
Das sogenannte Kapprecht ist im Schweizerischen Zivilgesetzbuch geregelt (Art. 687). Wichtig: Nur Eigentümerinnen und Eigentümer dürfen sich auf diese Bestimmung stützen. Mieterinnen und Mieter, die sich an herüberwachsenden Pflanzen stören, müssen sich an ihre Vermieterin wenden und dort verlangen, dass die Pflanzen gestutzt werden.
Nicht reklamieren hat Vorteile
Übrigens: Wer es als Eigentümerin oder Eigentümer duldet, dass Pflanzen vom Nachbargrundstück auf das eigene Grundstück wachsen, ist hat Vorteile: Nicht nur vermeidet man so Nachbarschaftskonflikte. Das Gesetz gesteht einem in diesem Fall das Recht auf die überhängenden Früchte zu.