Im Leistungszentrum des Schweizerischen Turnverbandes (STV) sind in der Vergangenheit Mädchen und junge Frauen erniedrigt und in ihrer Würde angegriffen worden. Diese Vorfälle hätten sie sehr beschäftigt, sagte Bundesrätin Viola Amherd in einem am Montag veröffentlichten Interview mit den Tamedia-Zeitungen .
Der Fokus im Sport dürfe nicht allein auf Medaillen liegen. Der Erfolg soll nicht der vordergründige Gradmesser sein. Bei der Sportförderung sollen künftig ethische Aspekte ein grösseres Gewicht erhalten, gab die Magistratin zu Protokoll. Bei der Verteilung der Gelder müssten neuerdings ethische Vorgaben mitspielen. Sonst bestehe das Risiko, dass die Kultur und das Fehlverhalten andauerten.
Es herrscht in gewissen Bereichen eine Kultur der Angst. Das ist nicht tolerierbar.
Die Sportministerin zeigt das Dilemma konkret auf: «Der Verband will Erfolg haben, damit er von der Politik Geld bekommt, der Trainer will Resultate, damit er den Job behält. Aber wenn das so weit führt (wie geschehen – d. Red.), dann sind dies die falschen Parameter. Dann ist das ein ungutes System.»
Zu lange weggesehen
Es habe sie sehr erstaunt, dass die jungen Frauen sich erst dann getraut hätten, etwas zu sagen, als sie nicht mehr aktive Athletinnen gewesen seien. Im Turnverband herrsche in gewissen Bereichen eine Kultur der Angst. Das sei nicht tolerierbar.
«Da müssen wir grundlegend über die Bücher», sagte Amherd weiter. Es gehe nicht an, dass auf Kinder und junge Menschen in der Pubertät so unglaublich viel Druck ausgeübt werde, dass sie total verunsichert seien und kein Selbstvertrauen mehr hätten.
Wenn ein Verband sich grundsätzlich verändern will, ist es wichtig, dass das auch personelle Folgen hat.
Die Verantwortlichen in den Sportverbänden und in der Politik hätten zu lange weggesehen. Die jüngsten Rücktritte im Turnverband begrüsse sie explizit. Ein Neuanfang könne nicht mit Leuten bestritten werden, die für die Missstände verantwortlich seien.
Im Wiederholungsfall wird Geld gestrichen
Es gebe bereits eine Ethik-Charta zwischen Swiss Olympic und den verschiedenen Sportverbänden. Das reiche aber offensichtlich nicht. Die Politik müsse die Sportverbände enger begleiten und überprüfen, ob die Charta im Alltag auch angewendet werde.
Falls das nicht der Fall sei, müsse der Staat intervenieren und sanktionieren. Dazu fehlten momentan aber die Instrumente. Vorerst will Amherd dem Turnverband keine Mittel entziehen, um nicht Tausende junge Turnerinnen und Turner zu bestrafen.
Bei einem nächsten Fall seien die finanziellen Folgen aber naheliegend. Es scheine, als sei Geld die einzige Sprache, die einige Verantwortliche verstünden, sagte die Sportministerin.