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Erblindeter Eishockey-Coach Tomlinson im Interview: «Wollte es so gut es geht geheim halten»

Die unglaubliche Geschichte von Jeff Tomlinson berührt dieser Tage die Eishockey-Schweiz. SRF hat mit dem Kanadier gesprochen.

Aufgrund eines Sehnerv-Infarkts verlor Jeff Tomlinson im Jahr 2020 fast sein komplettes Augenlicht. Trotz Handicap coachte der Kanadier aber jahrelang weiter, ehe er sich 2023 eingestehen musste, dass es nicht mehr funktioniert.

Was Tomlinsons Geschichte noch dramatischer macht, als sie ohnehin schon ist? Der heute 55-Jährige weihte nur einen kleinen Kreis in seine Krankheit ein. Doch wie funktionierte das? Im SRF-Interview gewährt Tomlinson spannende Einblicke.

SRF: Nun ist es raus, die ganze Eishockey-Schweiz kennt ihre Geschichte. Sind Sie erleichtert?

Jeff Tomlinson: Ja, sehr. Ich will nicht mehr schauspielern müssen. Ich wollte es schon früher sagen, doch es ist mir aus verschiedenen Gründen nicht gelungen. Aber jetzt ist es raus und es geht mir viel, viel besser.

Jeff Tomlinson

Ehemaliger Eishockey-Coach

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Jeff Tomlinson kam 2015 aus Deutschland in die Schweiz nach Rapperswil-Jona. Der inzwischen 55-jährige Deutsch-Kanadier führte die Lakers 2018 zurück in die National League, im selben Jahr gewann er mit den St. Gallern den Schweizer Cup. Auf die Saison 2021/22 hin wechselte Tomlinson zu Kloten, wo er 2023 aus nunmehr bekannten Gründen als Trainer aufhörte. Seither steht Tomlinson den Flughafenstädtern als Berater zur Seite und engagiert sich im Nachwuchs.

Ihr Schicksal bewegt die Leute, die Meldung hat hierzulande im Nu die Runde gemacht. Was für Reaktionen haben Sie erhalten?

Es sind viele coole Nachrichten gekommen, auch von Leuten, von denen ich lange nichts mehr gehört hatte. Und auch von Leuten, die leider ein ähnliches Problem haben. Es war sehr viel los in den letzten Tagen.

Sie konnten Ihre fast vollständige Erblindung über Jahre verstecken. Würden Sie diesen Weg noch einmal wählen?

Wenn ich damals (2021, Anm. d. Red.) nicht bei Kloten gelandet wäre, dann wäre ich mit der ganzen Geschichte sofort rausgegangen. Aber ich wollte das so gut wie möglich geheim halten. Als meine Zeit in Kloten zu Ende war, wollte ich die Wahrheit erzählen, ich wusste aber nicht wie. Dann habe ich Kristian Kapp (Journalist beim Tages-Anzeiger, Anm. d. Red.) alles erzählt. Er meinte dann, dass wir ein Buch darüber schreiben sollten. Ich musste also warten, bis das Buch zu Ende geschrieben war. Das hat länger gedauert, als wir erwartet hatten.

Damit es Aussenstehende etwas besser nachvollziehen können: Wie viel haben Sie von einem Spiel noch mitbekommen?

Das ist schwierig zu beantworten. Das Licht spielte eine grosse Rolle. Es spielte eine Rolle, in welcher Halle wir waren. Wenn der Puck direkt vor mir war, bekam ich etwas mehr mit. In anderen Zonen war das unmöglich. Aber ich hatte Helfer, denen ich Fragen stellen konnte. Das hat niemand gewusst. Im Nachhinein dürfte das einigen aufgefallen sein, denn ein Headcoach trägt eigentlich kein «Ear-Piece». Normalerweise kriegt der Assistenztrainer die Informationen.

Können Sie eine Prozentzahl nennen?

Jeder möchte das hören, aber es spielten so viele Dinge eine Rolle. Kontraste oder sogar die Tagesform. Habe ich genug geschlafen? Konnte ich mich fokussieren? Wenn ich müde war, wurde es noch weniger.

Welche Halle war die beste?

Ich habe mich an unsere Halle in Kloten gewöhnt. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich sehen kann, wenn Leute in mein Ohr gesprochen haben. Das hat mit Sehen nichts zu tun, sondern mit dem Wahrnehmen einer Situation, ich hatte da ein besseres Gefühl.

Woher nahmen Sie die Kraft, das so lange durchzuziehen?

Ich weiss es nicht. Jeder Tag war so anstrengend für mich. Kraft gaben mir meine Familie und gute Freunde. Ich glaube, diese Leute sind nun auch erleichtert. Sie müssen mich nicht mehr schützen. Das war für sie auch anstrengend, wenn sie zum Beispiel gefragt wurden, wie es Jeff geht oder was mit ihm los ist. Sie mussten auch lügen. Oder eben nicht die ganze Wahrheit sagen. Und ich bin sehr dankbar, haben sie das getan.

Das Gespräch führte Mario Torriani für Radio SRF 3. Redaktion: Michèle Rubli und Marco Löffel

Radio SRF 3, 09.09.2025, 16:15 Uhr ; 

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